PRIDE Gedanken zur PRIDE-Woche - von Janis McDavid

Wie man auch ohne Arme und Beine seine Füße hochlegen und auf der Tanzfläche stehen kann.
Stehe oder sitze ich auf dem CSD-Wagen? Gebe ich jemandem meine Hand oder meinen Arm zur Begrüßung? Und wie entspanne ich mich abends – indem ich meine Füße hochlege?
Freunde und andere Menschen um mich herum vergessen häufig, dass ich ohne Arme und Beine geboren wurde und fragen mich manchmal, ob ich dieses oder jenes halten oder ihnen meine Handschuhe leihen könnte. Für mich ist das das größte Lob, die größte Bestätigung, die man mir geben kann, denn in solchen Situationen weiß ich, dass ich mein Ziel erreicht habe: Mein Ziel, meiner „Behinderung“ in meinem Leben keine Hauptrolle zu geben. In diesen Momenten weiß ich, dass ich als Mensch und nicht als „schwerstbehinderter, schwerhöriger, oder geistig eingeschränkter Rollstuhlfahrer oder <hilflose Person>“ gesehen werde.
Wenn ich mit freiem Oberkörper auf dem CSD-Wagen stehe und mir eine Sektflasche in die Hand gedrückt wird, spielt meine „Behinderung“ auch nur eine Nebenrolle. Dann bin ich mitten drin in der LGBT-Community, die im Juni – unserem Pride Monat – für ihre Akzeptanz und Wertschätzung kämpft. Man sieht in diesem Monat viele Oberkörper und zurechtgemachte Menschen und könnte sich fragen, ob und wie man als Rollstuhlfahrer dazu passt. Man kann aber ebenso einfach hingehen und mitmischen. Selbst wenn ich in den Augen vieler keinen „perfekten“ Körper habe, bin ich vom Gegenteil überzeugt, auch wenn ich gerade keine Handschuhe dabei habe oder Sektflaschen halten kann.
Auf CSD’s und in Discos ist die Frage nach dem „perfekten“ Körper eine sehr wichtige. Doch wann ist ein Körper „perfekt“? Wenn er makellos ist? Wenn er komplett ist? Nein, denn „perfekt ist, was wir – jeder Einzelne von uns – daraus machen. Ich habe meinen Körper so angenommen, wie er ist und versuche das entsprechend auszustrahlen. Wenn ich dann gefragt werde, was für Schuhe ich zuhause habe, zeigt mir diese Frage, dass meine Ausstrahlung erfolgreich ist.
Das mag jetzt seltsam klingen und oft ist es denjenigen, die mich noch nicht gut kennen, anschließend sehr peinlich, weil sie das Gefühl haben, in ein Fettnäpfchen getreten oder eine Grenze übertreten zu haben. Ich kann dazu nur sagen: Wer nicht über sich selbst lachen kann, hat schon verloren. Wenn Freunde mir solche Fragen stellen, bin ich glücklich und wenn ich im Flugzeug ein Upgrade in die Business Klasse bekomme, freue ich mich über die zusätzliche Beinfreiheit.
Das Leben ist viel zu schön, um immer ernst zu sein und daher gehe ich jetzt zum Sofa, lege meine Füße hoch und freue mich über die Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache.
Janis McDavid