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Von Nackten und selbsternannten Sittenwächtern


Szene Der Zürcher Gemeinderat Alan David Sangines im Interview zur neuen Beschilderung auf der Werdinsel.


Die neue Beschilderung von Grün Stadt Zürich auf der Werdinsel, die von den Medien auch als „Warnung vor FKKlern“ verstanden wurde, beruht auf einem Postulat von Alan David Sangines (SP), das er bereits im Frühling 2014 einreichte. Im Interview erklärt er die Notwendigkeit der Aktion.

Cruiser: Grün Stadt Zürich reagierte nun auf Dein Postulat - bist Du zufrieden mit dem Timing?

Alan David Sangines: Ich freue mich natürlich sehr, dass du die Stadt das Postulat umsetzt. Allerdings finde ich das Timing etwas spät. Die Schilder wären besser in den Sommerfreien aufgestellt worden. Ich frage mich, wie man "Erkenntnisse" gewinnen möchte, wenn kaum noch jemand auf die Werdinsel geht. Ich hoffe, dass die Beschilderung nächstes Jahr früher kommt und definitiv bleibt.

Hattest Du auch Einfluss auf die Gestaltung der Schilder?

Hans Peter Waltisberg vom Checkpoint Zürich hat mich in einem frühen Stadium kontaktiert. Wir haben uns über verschiedene Möglichkeiten ausgetauscht und waren uns einig, dass die Beschilderung auf keinen Fall den Eindruck von Warnung oder Gefahr vermitteln soll, sondern sie als Information gelten soll, damit die FKKler von selbsternannten Sittenwächtern in Ruhe gelassen werden und niemand mehr sagen kann, sie hätten Nackte sehen "müssen", ohne das gewollt zu haben. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden, die Zusammenarbeit mit Checkpoint war hervorragend.

Denkst Du, dass diese Beschilderung tatsächlich helfen wird um die Konflikte zu lösen?

Ich hoffe es. Man muss sehen, dass der Werdinselspitz seit Jahrzehnten ein FKK-Bereich ist und als solcher akzeptiert wurde. Damals war dieser Teil der Insel auch nicht sonderlich attraktiv. Seit die Werdinsel aber "renoviert" wurde und sich der Werdinselspitz zunehmend zu einem schönen, gemütlichen Erholungsfleck gewandelt hat, wurden immer mehr Stimmen laut, die FKK abschaffen und zu einer Familienoase machen wollten. Mit der Beschilderung kann nun jede und jeder selber entscheiden, ob er oder sie in diesen Bereich will.

Grün Stadt Zürich legt also ihre „schützende Hand“ auf den FKK-Bereich?

Die FKKler haben nun etwas Absicherung, dass ihr Bereich von der Stadt auch offiziell als solcher anerkannt, statt stillschweigend toleriert wird. Gerade dieser Punkt ist sehr wichtig auch als Zeichen gegenüber den Verbotsstimmen. Es waren übrigens die FKKler, die mit der Idee an mich getreten sind, diesen Bereich zu beschildern. Beim Katzensee funktioniert eine entsprechende Kennzeichnung ja auch hervorragend.

Wurde denn die Gesellschaft immer prüder, jetzt auch in Bezug auf Nacktheit?

Ich glaube, die Werdinseldiskussionen liegen mehr am Nutzungsdruck. Neuzuzüger aber auch Alteingesessene haben den Werdinselspitz als schönen Ort entdeckt und möchten auch gerne dahin, fühlen sich aber unwohl unter den vielen Nackten. Es ist wie so oft in der Stadt: Ein Ort wird plötzlich "in", man wertet ihn auf, vertreibt "Alteingesessene", die diesen Ort schon immer frequentierten und ersetzt sie durch eine Schicht, die früher nicht einmal in die Nähe dieses Ortes gegangen wären. Ich denke also nicht, dass die Gesellschaft an sich prüder geworden ist, sondern eher, dass die Attraktivität der Stadt Zürich viele Neuzuzüger anzieht, unter welchen es viele Prüde hat. Wer schon lange in der Stadt Zürich wohnt, kennt den Werdinselspitz und hat sich noch nie darüber gestört.

Offiziell wird von FKK geredet, aber oft ist das sogenannte "Sexspiel-Wäldchen" doch gemeint - ist das des "Wurzels Übel"?

Mag sein, wobei ich das Gefühl habe, dass es gerade umgekehrt ist. Das "Sexwäldchen" wird vorgeschoben, um den FKK Bereich zu säubern. Die Kritiker fühlen sich unwohl beim Anblick der Nackten - unter welchen viele auch einige schwul oder queer sind -, wollen aber nicht als prüde gelten und schieben dann halt das "Sexwäldchen" vor. Dabei, wenn man nicht sehr genau durch die Bäume und Gebüsche schaut, sieht man ja nicht, was dort drin geschieht. Mag sein, dass vereinzelte Menschen Zeugen von Sex auf der Wiese wurden. Das sind aber absolute Ausnahmefälle und einen ganzen FKK Bereich deswegen zu verallgemeinern zeigt eben, dass es nicht nur um sexuelle Aktivitäten geht. Ich bin schon oft an diesem Wäldchen vorbei gelaufen und noch nie etwas darin gesehen. Aber klar, wenn man ins Wäldchen starrend auf der Lauer liegt, kann man vielleicht mal eine selten vorkommende sexuelle Aktivität beobachten. Dann ist man aber selber Schuld. Die zunehmende Polizeipräsenz deswegen auf der Insel finde ich auch sehr fragwürdig.

Zu guter Letzt – gehst Du in Deiner Freizeit auch auf die Werdinsel?

Phasenweise mehr oder weniger, allerdings in Badehosen, für FKK bin ich doch zu prüde (lacht). Ich mag die Ruhe dieses Ortes, der offene Umgang, der Respekt und die Toleranz, die einander entgegen gebracht wird. Es hat viele Leute dort, die den Werdinselspitz seit Jahren frequentieren und ihn auch pflegen. Als beispielsweise vor ein paar Jahren die Wiese aufgrund von Lastwägen komplett zerstört war, waren es diese Leute, welche die Wiese bereits im Frühling in ihrer Freizeit pflegten, um ihn für den Sommer wieder herzurichten. Auch was den Abfall betrifft, wird kaum etwas liegen gelassen und am Abend nehmen diese Leute den wenig liegen gelassenen Abfall anderer freiwillig mit. Eine solche Verbundenheit mit einem öffentlichen Ort und eine derart gute, friedliche und harmonische Stimmung habe ich noch selten irgendwo erlebt. Darum ist es mir auch sehr wichtig, dass dieser Ort und diese Kultur beibehalten werden kann.


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