Auf der Suche nach Abwechslung von den Köpfen, die den Alltag bevölkern, begibt sich Michi Rüegg ins Internet. Und findet nicht nur Gesichter.
Selbst in einer Stadt wie Zürich gibt es Tage, an denen man das Gefühl hat, immer in dieselben Gesichter zu blicken. Das ist auf Dauer langweilig. Jeder, der schon eine Beziehung geführt hat, kennt das Gefühl. Doch wenn das stets Wiederkehrende im Leben nicht nur jeden Morgen neben einem liegt, sondern auch noch jedes Tram, alle Cafés und die Kasse in der Migros-Filiale bevölkert, dann sehnt man sich nach etwas Neuem.
Abhilfe auf der Flucht vor Tristesse verschaffen Besuche auf Porno-Websites. Schier endlos scheint dort das Angebot an meist ganz ordentlich aussehenden jungen Männern. Ich weiss nicht, wie viele Pornofilmchen ich mir im Verlaufe der vergangenen nicht ganz 20 Jahre reingezogen habe. Aber es waren vermutlich mehr als romantische Komödien, Polit-Thriller und Sitcoms zusammen. Das liegt auch daran, dass man nicht immer vom Anfang bis zum Schluss schauen muss. Man kann getrost vorspulen, ohne Gefahr zu laufen, einen wichtigen Handlungsstrang zu verpassen.
Früher war das noch etwas anders, da gab es noch Storylines. In den Streifen des französischen Meisterpornografen Jean-Daniel Cadinot erlebten die Helden echte Abenteuer. In einem davon irrte ein kleiner blonder Franzose beispielsweise durch eine marokkanische Medina und wurde dabei von diversen Herren mit unterschiedlich dunklen Hauttönen und markanten Geschlechtsteilen von hinten genommen. Bis er seine Liebe traf... Da kommt nicht nur Romantik, nein, es kommt auch so richtig Urlaubsstimmung auf.
Beim Herumklicken auf den entsprechenden Seiten frage ich mich manchmal, ob es in Osteuropa heute 25-jährige Männer gibt, die noch nie vor einer Kamera Sex hatten. Rein mathematisch gesehen ist das unwahrscheinlich. Es sei denn, sie sind recht hässlich. Dann will niemand sie sehen. Ich vermute, dass die Mehrheit der Nichthässlichen schon mal Pornos gedreht hat. Das ist eine ganze Generation. Man muss sich das so in 20 Jahren im tschechischen Parlament vorstellen. Da wird vermutlich jeder schon mal mit jedem vor der Linse gevögelt haben. Bei den Frauen weiss ich nicht so recht. Da kenne ich mich nicht aus. Aber die werden wohl auch Filme drehen, nehme ich an.
Selten kommt es vor, dass man in einem Film jemandem begegnet, den man aus einem anderen Clip kennt. Das ist, je nachdem, sehr erfreulich. Es entsteht ein Gefühl angenehmer Vertrautheit. Hey, dich kenne ich doch aus dem Doppelanal beim Pool letztes Jahr! Wie geht‘s denn so?
Leider traf ich noch nie einen der Herren aus den Filmen in echt, also zufällig irgendwo im Apple Store oder am Flughafen. Das wäre recht lustig, glaube ich. Einem Freund von mir ist das mal passiert. Er war in Frankreich in einem Theater. Dort betrat er einen Fahrstuhl. Neben ihm stand dort noch ein hübscher Typ, offenbar ein Angestellter des Hauses. Mein Freund schaute ihm in die Augen und erkannte einen seiner Lieblingsdarsteller aus einem Cadinot-Film. Es folgte ein gelächeltes «Bonsoir» auf beiden Seiten. Dann trat der junge Mann aus dem Lift und zeitgleich wieder aus dem Leben meines Bekannten.
Der junge Mann sei sehr gepflegt gewesen und habe eine sehr liebenswürdige Ausstrahlung gehabt, gab mein Freund später zu Protokoll. Ob die Vorstellung an jenem Abend auf der Bühne qualitativ an diejenige des Liftfahrers während seiner Zeit als Darstellers herankam, weiss ich nicht.
Übrigens soll mir niemand behaupten, Pornos seien eine schmuddelige Angelegenheit. Die Popos dieser Kerle sind immer viel besser gespült als im richtigen Leben. Es sei denn, ein bisschen Dreck ist gewollt. Der kostet meist extra.