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AutorenbildBirgit Kawohl

Buch-Tipp: Jeremy Reed: Beach Café


Ein Sittengemälde à la Jean Paul Gaultier?

Jeremy Reed, so ein wenig das enfant terrible der britischen Literatur, schrieb diesen Roman Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Nun wird er erstmals auf Deutsch beim Zürcher Bilgerverlag aufgelegt.

«In diesem Sommer war die Hitze ein blonder Löwe, der unablässig faucht.» Ein Roman, der so beginnt, weckt im Leser die Erwartung eines Abenteuers, an dem er teilhaben darf. Beim Lesen entwickelt sich jedoch schnell die Erkenntnis, Löwen, die fauchen, beissen nicht. So hat man bald das Gefühl, dass der Roman zwar cool sein will, Drama zeigen, jugendlichen Weltschmerz vermitteln, dabei aber an ähnliche Formate wie etwa Welshs «Trainspotting» nicht herankommt.

Aber der Reihe nach: Vier Jugendliche in den 80ern, in einem Jahr mit der Schule fertig, geniessen den letzten Sommer in Freiheit. Die Freiheit, noch ungebunden zu sein. Die Freiheit, dass alles noch möglich scheint. Diese Freiheit verleben sie – verbotenerweise – am Strand, wo es vor allem darum geht, in demonstrativer Androgynität die eigene Sexualität auszuloten und auszuleben. Anführer der vier ist Dione, er trägt Frauenkleider, lackiert sich die Nägel, nimmt Drogen und finanziert seine Luxuswünsche mit bezahltem Sex. Die anderen drei lassen sich hierhin und dorthin treiben, schwelgen in Musik, versuchen sich selbst als Songwriter. Die Texte erinnern an von Rimbaud und Baudelaire geprägten Weltschmerz. Hier allerdings wird das Setting etwas unglaubwürdig, denn entsprechen Wortwahl und die Anspielungen an Dichter und historische Figuren eher dem Bildungshorizont eines Vierzig-, denn eines Achtzehnjährigen. In der Handlung geschieht lange Zeit nichts, der Ich-Erzähler schwelgt vor allem in Beschreibungen unter Verwendung einer Überfülle von Adjektiven, die die Beschreibung zum Teil ebenso manieriert wirken lassen, wie es das Verhalten der Jugendlichen ist. Die fast heile Welt der jungen Männer bricht jedoch schlagartig auseinander, als einer von ihnen beim Schwimmen verunglückt und stirbt. Das Leben erhält eine Zäsur, alle wissen, jetzt sind sie erwachsen. Die Metamorphose ist abgeschlossen und zwar nicht immer so, wie sie von den Protagonisten selbst wohl erwartet wurde.

Der Roman enthält viele kluge Gedanken. Überhaupt ist es ein überaus kluger Roman für eine ebensolche Leserschaft. Leser, die nicht davor zurückschrecken, dass die Handlung von tiefsinnigen Gedichten und Songtexten unterbrochen wird, dass das angeblich aufregende, von sexuellen Eskapaden bestimmte Leben der Protagonisten in einem schier endlosen inneren Monolog erzählt wird, bei dem nahezu komplett auf wörtliche Rede verzichtet wird. Obwohl eher ein schmaler Band, lässt der Roman viel Raum zum Nachdenken.

Jeremy Reed Beach Café

ISBN 978-3-03762-057-1

In der Übersetzung von Pociao. 144 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen. Mit 5 Holzschnitten von Jean Cocteau. ca. CHF 27.--

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