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AutorenbildMoel Maphy

Buchtipp: Wenn Mann plötzlich klar sieht


Raik lebt in Köln und führt mit seinem Bruder eine soziale Hilfsstelle. Dabei ist ihm lange nicht klar, dass er selbst Hilfe braucht.

Von Birgit Kawohl

Dieser etwas schnulzige Liebesroman führt seine Leser nach Köln, was allerdings nicht unbedingt erkennbar ist. Dies spielt aber auch keine Rolle, da es mehr um die Menschen und vor allem um deren Gefühle geht und nicht um das Lokalkolorit der Rheinmetropole, die sicherlich – auch in Bezug auf die queere Community – eine der offensten Städte Deutschlands ist.

Raik also, 29 Jahre alt, studierter Betriebswirtschaftler, lebt und arbeitet mit seinem Bruder Jörn, Therapeut, zusammen. Dabei verkörpert er rein äusserlich nicht das Klischee eines Wirtschaftswissenschaftlers, grosse Tattoos, zerrissene Hosen, stets schwarze Kleidung lassen ihn aus der Menge herausstechen. Hinter diesem selbstbewussten Aussehen verbirgt sich allerdings ein Mann mit grossen Schwächen in Bezug auf seine Gefühlswelt. Bisher hat er nicht die Frau fürs Leben gefunden, sondern schläft sich von One-Night-Stand zu One-Night-Stand. Beruflich läuft es gut, allerdings fordert ihm ein neuer Klient, der der sozialen Einrichtung, die die beiden Brüder leiten, Polizeibesuch beschert, einiges ab. Der Kriminalpolizist, der Fragen zu eben diesem Klienten hat, lässt Raik an seine Grenzen kommen: Die beiden geraten sich sofort und immer, wenn sie aufeinandertreffen, in die Haare, gleichzeitig wird ihm schlecht, was wohl an am Cop-Duschgel liegt. Der Polizist, der im Übrigen sowohl privat als auch beruflich sehr offensiv mit seiner Homosexualität umgeht und damit ein echter Lichtblick ist, drängt sich mit der Zeit immer wieder in Raiks Leben und schliesslich auch an dessen Körper. Da wird dem coolen Raik endlich klar, dass es wohl neben dem Heterodasein noch andere Liebes- und Lebensmöglichkeiten auf der Welt gibt.

Die Story wird komplett aus Raiks Sicht im Präsens erzählt, sodass der Leser alles quasi hautnah miterlebt. Das lässt vor allem während der nicht gerade seltenen erotischen Szenen viele Gefühle aufkommen; manchmal möchte man einfach das Ganze nur mit dem Protagonisten teilen, an anderen Stellen wiederum erbost eingreifen.

Apropos erbost eingreifen: Dies ist besonders der Fall, wenn es zum Sex kommt. Hier wird munter geleckt, geblasen, geschluckt, ohne dass sich irgendwer Gedanken um HIV, Syphilis, Tripper & Co. macht. Erst als der erste Analverkehr ansteht, kommen - auf Ermahnung eines schwulen Freundes hin - Kondome ins Spiel. So etwas darf sich eigentlich kein Roman, egal in welchem sexuellen Milieu er spielt, im Jahr 2018 erlauben. Man hat das Gefühl, sämtliche Aufklärungskampagnen sind an der Autorin komplett vorbeigerauscht.

Dies gilt leider in weiten Teilen auch für Bereiche der Orthographie und Zeichensetzung, so ist wohl niemandem, der sich vorab mit dem Roman beschäftigt hat, bekannt, dass es in der deutschen Sprache eine Unterscheidung zwischen wieder und wider gibt, hier werden jedenfalls munter Wiedersprüche geklärt und Wiedersacher erledigt. Peinlich.

Wer allerdings bereit ist, über diese kleinen Macken hinwegzulesen, der hat mit «Etappenflucht» eine nette Sommerlektüre für Strand, Badi oder Almhütte gefunden, die einen unterhält, ohne zu viel zu fordern.

Louisa C. Kamps: Etappenflucht. dead soft Verlag 2018. ISBN 9-783960891895. SFr. 21,90.


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