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Kolumne: Privilegien, Angst und Sommerapéros

Autorenbild: Moel MaphyMoel Maphy

Unser Kolumnist macht sich Gedanken über den Umgang mit eigenen Privilegien und wie sie sich im Leben eines schwulen Mannes zeigt. Ein Aufruf zu mehr Sommerapéros.

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Die grosse Um_ordnung war eine Performance auf dem Helvetiaplatz in Zürich. Unter anderem spielten die Anwesenden ein Spiel: Die Privilegienpyramide. Alle stehen um ein Dreieck. Es werden Fragen zu Gender, Einkommen, Hautfarbe, sexueller Orientierung etc. gestellt. Bei einem «Ja» musste man einen Schritt nach vorne gehen. Das Ganze wurde von einem benachbarten Dach gefilmt. Spannend irgendwie. Für mich hatte dieses Spiel zwei Probleme: Erstens trug ich ein rotes Tischi, welches auf der Übertragung aus der Menge leuchtete. Und zweitens wäre ich fast aus dem Dreieck wieder hinausgelaufen vor lauter Privilegien. Zum Glück bin ich schwul und werde nichts erben. Diese Tatsache hat mich gerettet. Wenigstens zweimal nicht «Ja» sagen müssen.

Soweit so gut. Aber was heissen all diese Privilegien für mein Leben? So ganz ausserhalb der laufenden Debatten? Ich kann’s euch sagen: Genau gar nichts. Suizidversuch mit 19, Panikattacken mit 40 und so weiter und so fort. Oder wäre der Verlauf meines bisherigen Lebens einfach schlimmer gewesen als Weniger-Privilegierter? Oder wirbelt einem die Zugehörigkeit zu einer Minderheit per se das Leben durcheinander?

Die Diskussion um Privilegien ist wichtig. Und richtig. Und dass ein Privilegien-Aufbau auf der einen Seite einen Abbau auf der anderen Seite bedingt, versteht sich von selbst. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Der Kampf ist noch nicht gewonnen. Und so langsam lerne ich, dass «solidarisch Fernbleiben» vielleicht dazu gehören muss.

Privilegien gibt’s nicht nur im Geschlechterkampf. Nein. Es gibt auch den Privilegiengraben zwischen Mitteleuropa und Afrika. Zwischen Amerika und Osteuropa. Auch hier gibt es noch viel zu tun. Und zwar nicht auf die bekannte koloniale Art. Auch hier muss ich lernen, dass «solidarisches Fernbleiben» manchmal mehr helfen könnte als gutgemeinte Unterstützung der Weissen für die Mitglieder aller weniger privilegierten Ethnien, die längerfristig das Leid nur vergrössert. Denn so hat die «Geschenke» des europäischen Kapitalismus zum Beispiel afrikanische Märkte zerstört.

Genauso wie Afrika selber stark ist und sich selber helfen kann, so sind auch Frauen* genügend stark, um für ihre Rechte zu kämpfen. Und trotzdem muss ich bereit sein, wenn es darum geht, mit anzupacken.

Ich freue mich auf viele Sommerapéros. Um mit den Menschen* um mich herum genau über solche Themen zu reden. Dies ohne zu streiten. Dafür mit viel Zuhören. Und auch mit einmal Nachgeben. Damit wir dann – nach dem Kampf – wieder zusammen an der Idee einer Gesellschaft weiterarbeiten können. Zusammen. Dann vielleicht solidarisch miteinander. Ich wünsche einen guten Sommer!


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