Was einst eine Art Ersatz für den ehemaligen «Barfüsser» gedacht war, ist zu einem Hotspot der Zürcher Gay-Szene geworden – und bis heute geblieben. Seit 15 Jahren schmeissen Melchior und Pius ihre «Männerzone» mit Herzblut und Hingabe.
Das Gesicht der Zürcher Gay-Szene hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wohl zum Negativen, würden viele derjenigen sagen, welche die turbulenten Zeiten von Laby, Aera, Spider Galaxy und anderen international bekannten, legendären Zürcher Clubs miterlebt haben.
Ein anderes Gesicht hat sich hingegen kaum oder nur wenig verändert – eigentlich sind es deren zwei: Das Gesicht von Melchior und Pius. Höchstens die eine oder andere Falte mag sich hinzugesellt haben, aber ansonsten sind die beiden Herren mit ihren jeweils ausgeprägten Dialekten für so viele Männer innig vertraute Gestalten geblieben. Vor 15 Jahren haben sie mit der «Männerzone» einen Fetisch-Laden mit regelmässigem Barbetrieb ins Leben gerufen, der schon lange zur Zürcher Institution geworden ist und sich den Ruf bis weit über die Landesgrenze hinaus wohlverdient hat. Wann und wo immer szeneinteressierte Besucher fragen: «Where to go out in Zurich?», ist die Männerzone eine der erstgenannten Anlaufstellen.
Ein Senkrechtstart
Die Idee zur Männerzone war damals praktisch aus einer Not geboren: Als 2002 der altehrwürdige «Barfüsser» im Niederdorf, die älteste Schwulenbar Europas, seine Tore schloss und die kernige Stammkundschaft «heimatlos» geworden war, fasste Melchior kurzerhand den Entschluss, für Ersatz zu sorgen und richtete im Stadtkreis 4 an der Engelstrasse neben dem bis heute bestehenden Fetisch-Shop gemeinsam mit Pius ein Provisorium mit kleinem «Kuschelraum» ein, wo sich einmal wöchentlich die Männer, Kerle, Bären und deren Freunde und Bewunderer trafen. Die beiden holten sich Andy mit ins Boot und schmissen den neuen Treff mit so grossem Elan, dass der Raum schon nach der zweiten und dritten Türöffnung fast auseinanderbrach ob des Zustroms. Bereits nach drei Monaten war es unausweichlich – die Männerzone brauchte mehr Platz. Die drei fanden mit dem heutigen Lokal an der Kernstrasse die idealen Räumlichkeiten für das überarbeitete und erweiterte Konzept eines Ladens mit Barbetrieb. Die neue Männerzone ist schlagartig zu DEM Treff für Kerle geworden, die in geselligem Ambiente unter sich sein wollen. Die zeitlos rustikale Einrichtung im Industrial-Autowerkstatt-Fabrikhallen-Werkhof-Look gibt einem östrogenfreien Ort den adäquaten Rahmen und kommt beim Publikum seit Anbeginn unverändert gut an.
Der Laden brummte, die innovativen Betreiber hielten das Publikum mit Themen-Partys und anderen Spezialanlässen unterschiedlicher Art bei Laune. Und seit das schmerzliche Ableben von Andy das Kerntrio zum Duo machte, sind hinter der Bar an der Seite von Melchior und Pius jeweils sich abwechselnde, freundliche Mitarbeiter zu sehen. Alle drei immer einheitlich gekleidet, monatlich in der Farbe wechselnd, das Décolleté stets einladend weit offen.
Wo man(n) Mann sein kann
Nun sind also geschlagene 15 Jahre ins Land gezogen, und noch immer trifft man freitags und samstags in der Bar sowie werktags im Shop auf die altbekannten Gesichter von Melchior und Pius. Wenigstens dies ist eine fixe Konstante in sich so schnell ändernden Zeiten. Natürlich ist der eingangs aufgegriffene Wandel in der Szene auch an der Männerzone nicht unbemerkt vorbeigegangen. «Zürich ist sehr ruhig geworden, was die Szene betrifft», stellen Melchior und Pius unisono fest, und jeder alte «Szenehase» würde ihnen vorbehaltslos beipflichten. «Es gibt ja keine eigentlichen Gay-Clubs mehr in der Stadt», sagt Pius. «Das Publikum ist mittlerweile stark durchmischt – Gays tummeln sich in Hetero-Clubs.» Das sei zwar grundsätzlich ein positives Zeichen der Zeit, für Betriebe wie die Männerzone bringe es jedoch deutliche Nachteile, zumal durch diese Entwicklung weniger Besucher von auswärts wegen der Szene in die Stadt kämen. Einst galt die Männerzone als klassische «Aufwärm-Destination» für die endlosen Zürcher Party-Nächte.
«Dass die Männerzone aber nach wie vor als begehrtes Ausgeh-Ziel gilt», fährt Pius fort, «liegt wohl nicht zuletzt daran, dass sie bis heute die einzige Men-only-Location in der Stadt ist, wo die Kerle ganz unter sich sind.» Das werde nach wie vor geschätzt und habe wohl auch mit dem Wunsch nach Diskretion zu tun. «Diese finden die Männer bei uns seit jeher.»
Mit der Eröffnung des «Le Garçon» gleich vis-à-vis und neuerlich mit dem «Barometer» an der nächsten Querstrasse hat die Männerzone unmittelbar Gesellschaft erhalten. Oder wohl eher Konkurrenz, nicht? «Natürlich ist es gewissermassen eine Konkurrenz», sagt Melchior, «aber nicht zwangsläufig im negativen Sinne», relativiert er. Es entstünden wertvolle Synergien, welche den Aspekt der Konkurrenz entschärfen. «Wir sehen die neuen Locations eher als Ergänzung denn als Konkurrenz», so Melchior. Das so um die Kernstrasse entstandene «Gay-Bermudadreieck» locke ein breiteres Szenepublikum ins Quartier, was allen gleichermassen willkommen sei. Und schliesslich bleibt die Männerzone in Konzept und Erscheinung ja doch nach wie vor einmalig in der Stadt.
Der grösste Laden seiner Art
Die Kombination von Barbetrieb und Laden hat sich seit jeher bewährt. Nicht zuletzt scheint es für viele Homosexuelle – und wohlgemerkt auch für Heterokerle – ein wertvolles Gut zu sein, mit Melchior und Pius hinter der Ladentheke vertraute und vor allem verständnisvolle, unvoreingenommene Gestalten anzutreffen, die für jede auch noch so unkonventionelle Vorliebe und «Abgefahrenheit» das Passende haben – oder auch mal ein bisschen Seelenklempner spielen. «Mir scheint, dass die Leute wieder vermehrt in Läden wie den unseren kommen», stellt Melchior fest. «Das Bedürfnis nach persönlicher Beratung und vor allem nach Qualität ist vor allem im Fetisch-Bereich wohl grösser als der Drang, Geld zu sparen, indem man irgendwelche Artikel im Internet bestellt und nicht weiss, was genau man schlussendlich kriegt.» Kommt hinzu, dass Melchior und Pius die Trends bestens kennen und ihr Sortiment regelmässig ergänzen und anpassen. So haben die beiden ihren Shop zum mit Abstand grössten seiner Art in der Schweiz ausgebaut und sich entsprechend als Anlaufstelle für den Herrn mit den besonderen Ansprüchen etabliert – mit einem Renommee bis weit über die Landesgrenzen hinaus. Und das wird vorläufig auch so bleiben: Melchior und Pius wollen im selben Takt weitermachen – «die Männerzone ist und bleibt unser ‹Kind›, in das wir viel Herzblut investieren».