Mit dem Musikprojekt «electroboy.ch», einer Party und einer Ausstellung zieht sich Florian Burkhardt alias electroboy aus der Öffentlichkeit zurück.
Haymo Empl
«Electroboy», der gefeierte, aber auch kontrovers diskutierte Kinodokumentarfilm hat Florian Burkhardt international bekannt gemacht. Unter dem Namen electroboy.ch hat er nun zusammen mit Lunik-Produzent Luk Zimmermann eben ein Mini-Album veröffentlicht. Begleitet wird der Release von einer Party und einer Ausstellung. Florian Burkhardt schliesst damit sein öffentliches Wirken ab. Die Party ist somit seine letzte und die Ausstellung realisiert er, um die Entstehung und Wandlung von electroboy im Rückblick zu zeigen. Cruiser hat diesen Rückzug aus der Öffentlichkeit als Anlass genommen, sich mit Florian Burkhardt ausführlich zu unterhalten.
Der mittlerweile 45-jährige Wahlberner zeigte sich im Gespräch erfreulich offen, ehrlich und differenziert.
Florian – du hast beschlossen, dich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Weshalb?
Als ich nach 12 Jahren in Berlin wieder in die Schweiz nach Bern zog, konnte ich nicht ahnen, wie bekannt der Film «Electroboy» mich in der Heimat gemacht hatte. Ich werde auf der Strasse und im Café erkannt und angesprochen. Ich kann damit nicht so gut umgehen. Ich begann mich aufgrund meiner Bekanntheit immer unwohler und eingeschränkter zu fühlen. Als es dann diesen Frühling darum ging, den Release des Musikprojekts «electroboy.ch» zu planen, reagierte mein Körper mit Brechreiz. Ich realisierte, dass ich mich von meiner öffentlichen Figur trennen musste.
Ein zweiter Grund für die Trennung von electroboy ist, dass ich mich als öffentliche Figur immer eingeschränkter fühle, was mein kreatives Wirken angeht. Einerseits hat die Bekanntheit den Vorteil, dass ich Aufmerksamkeit finde. Aber eben auch eine Menge Erwartungen. Jeder hat eine Vorstellung von electroboy und nicht zuletzt auch ein kommerzielles Interesse, wenn es um eine Zusammenarbeit geht.
Weiter habe ich von Natur aus nicht die Kraft, die es braucht, um gesund grössere Projekte und die nötige Öffentlichkeitsarbeit zu stemmen. Ich werde dann immer so eingenommen, dass es sonst nichts mehr gibt. So verliere ich das Wichtigste aus dem Blick – die Menschen um mich herum. Weiter fehlt mir wohl auch immer mehr das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Spiegelung von aussen. Vielleicht hängt das auch mit Lebenserfahrung zusammen. Ich durfte realisieren, dass Aufmerksamkeit nicht unbedingt hilft, wenn es möglicherweise an Selbstliebe fehlt.
Ich freue mich darauf, in Zukunft aus der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verschwinden und anonym kreativ sein zu können. Ohne grosse Erwartungen und Anforderungen. In Freiheit und im Kleinen. Mit klarem Fokus auf der Sache und nicht auf meiner Person. Andererseits vermute ich, dass ich nach der Ausstellung in ein Loch fallen werde, weil die letzten Jahre doch sehr intensiv mit electroboy verbunden waren. Ich bin gespannt darauf, was von mir übrig bleibt nach der Trennung.
Du hast – so hat man den Eindruck – die Öffentlichkeit ja stets ein bisschen gesucht. Oft war diese deine Offenheit etwas überraschend intim. War das retroperspektiv gesehen eine gute Entscheidung?
Es war eine lange Reise mit vielen Wendungen und mit vielen Menschen, die involviert waren. Das meiste kam von aussen auf mich zu. Und weil ich sehr neugierig bin und Herausforderungen liebe, habe ich jeweils die Chancen ergriffen. Vor dem Film war electroboy eigentlich kein Thema mehr für mich. Ich habe in Deutschland ein sehr privates Leben geführt. Dann kam die Anfrage einer Produktionsfirma, die einen Spielfilm über mein Leben realisieren wollte. Plötzlich war es dann ein Dokumentarfilm. Zuerst fand ich die Idee nicht gut, weil ich nicht als privater Mensch vor die Kamera wollte. Als ich mich dann überwinden konnte, entschied ich mich dafür, total offen zu sein, weil ich dachte, dass es sonst keinen Sinn macht. Als der Film ein Erfolg wurde, kam ein Berliner Literaturagent auf mich zu und sagte, ich solle meine Kindheit und Jugend niederschreiben. Auch diese Herausforderung nahm ich an, war es doch immer mein Traum gewesen, Schriftsteller zu sein. Aus einem Buch wurden zwei und damit verbunden unfassbar viele Auftritte und Interviews in der Schweiz und Deutschland.
Die Entscheidung, offen und möglichst ehrlich zu sein, bereue ich nicht. Ich durfte sehen, dass ich so Menschen emotionell berühren kann. Aber ja, ich habe damit sehr viel preisgegeben mit dem Ergebnis, dass ich jetzt eine Projektionsfläche für sehr vieles bin.
Kritische Stimmen gab es seltsamerweise kaum, abgesehen davon, dass mir ein Psychiater öffentlich krankhaften Narzissmus unterstellt hatte. Ich habe das ernst genommen und mich intensiv mit psychiatrischer Hilfe damit befasst. Entgegen mancher Vermutungen wurde mir von drei Psychiatern versichert, dass ich kein Narzist sei, denn ich erfülle die meisten Kriterien dafür nicht. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass ich narzistische Anteile habe. Ich bin ein sehr widersprüchlicher Mensch. Ich habe viele Anteile in mir, die sich oft gegenseitig im Wege stehen. Einerseits stehe ich gerne im Mittelpunkt, andererseits aber nur ganz kurz. Ich mag Lärm, brauche aber sehr viel Ruhe. Ich liebe Menschen, bin aber meistens gerne alleine. Ich bin sehr empathisch, kann aber auch sehr kalt sein.
Von all den vielen Projekten wie Musik, journalistische Tätigkeit, Webdesigner, Model, Schauspieler, electroboy, was hat am besten zu dir gepasst und was hast du am liebsten gemacht?
Zu kreieren fand ich immer sehr schön. An etwas zu arbeiten. Möglichst eigenständig. Neues entdecken, neue Herausforderungen. Das fertige Produkt hat mich dann meistens nicht mehr interessiert, eben weil es fertig war. Wenn es fertig ist, dann ist es für mich tot. Von dem her war ich dankbar für jede Chance und jede Tätigkeit. Nur das Präsentieren und Vermarkten war weniger gesund für mich. Wenn ich als Mensch plötzlich eine Show bin. Mit dem Anspruch auf die Bühne zu gehen, Menschen zu unterhalten, mich darzustellen mit meiner persönlichen Geschichte. Oder mich für die Presse zu präsentieren, damit ich den Promo-Ansprüchen gerecht werde.
Rückblickend: Hast du die Schweiz mit deiner Offenheit, deiner Geschwindigkeit und deiner Egozentrik nicht ein bisschen überfahren?
Ich denke, dass ich ein sehr leidenschaftlicher Mensch bin und schnell für etwas brennen kann. Das generiert eine Energie, die vieles zu ermöglichen scheint. Meine Art war früher wohl eher ungewöhnlich. Inzwischen scheint sie üblicher zu sein. Die Menschen zeigen sich gerne und machen sich selbst zu Projekten, Produkten und öffentlichen Figuren. Ich vermute, dass ich nie ein typischer Schweizer war. Deshalb habe ich damals in Los Angeles und New York gelebt.
Wie nimmst du die LGBT*-Community wahr? Bist du ein respektierter Teil von dieser Gemeinschaft?
Ich bin beeindruckt, wie schnell sich die Situation der Homosexuellen geändert hat, zumindest in der westlichen Welt. Ich bin jetzt erst 45, aber musste als junger Mensch noch in eine Art Ghetto gehen, um offen schwul sein zu können. Heute ist das anders. Die Gesellschaft wirkt oberflächlich gesehen offener. Aber wie immer war es ein harter Kampf vieler Menschen, dass es soweit gekommen ist. Menschen scheinen einfach von Natur aus nicht offen zu sein. Jede «Randgruppe» muss sich ihre Rechte selbst erkämpfen. In dieser Gesellschaft, die auf sogenannten christlichen Werten gegründet wurde und diese in keiner Form umzusetzen gedenkt. Wir Menschen scheinen sehr beschränkt zu sein und immer nur unsere persönliche Sichtweise als die einzig mögliche zu sehen.
Ich war in Zürich früher intensiv in der Szene unterwegs. Das war sehr schön aber auch sehr einschränkend. Ich habe mich die meiste Zeit meines Lebens nur mit homosexuellen Männern abgegeben und hatte kaum Kontakt zu Frauen und Anderssexuellen. Erst jetzt in Bern habe ich mich von all den Plattformen abgemeldet und mich selbst geöffnet.
Als Homosexueller von früher war für mich Sexualität extrem dominant. Ich habe ewig nichts in Frage gestellt, bin dem Jugendwahn hinterhergerannt und sah Männer und mich selbst in der Szene mehrheitlich als sexuelle Körper. Körper, die gefallen oder eben nicht gefallen. Körper, die erst in zweiter Linie beseelt sind. Als Mitglied der Szene habe ich Menschen verletzt und wurde selbst verletzt. Im Zuge der #Metoo-Debatte habe ich einiges an meinem Verhalten und dem Verhalten der Szene hinterfragt.
Ich war nie ein Mensch, der gerne Teil von einer Gruppe ist. Abgesehen von den paar Jahren damals in der Zürcher Gay-Szene hatte ich scheinbar keinen Drang, irgendwo dazuzugehören. Ich sehe, dass aus der Gay-Community eine LGBT+-Community wurde. Ich finde das mega spannend und bin den aktiven Menschen dafür sehr dankbar.
Ob ich ein respektierter Teil der Community bin, kann ich nicht einschätzen. electroboy war am Anfang eine Homo-Party. Schnell war das Publikum gemischt. electroboy rutschte von der Gay-Presse ins 20min. Das hat mir die Gay-Szene damals übelgenommen.
Wovon lebst du, wie finanzierst du dich?
Seit meinem Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik in Zürich bin ich Teil-Invalidenrentner. Es gab unzählige Arbeitsversuche, die nicht fruchtbar waren. Ich bin dem Sozialstaat unglaublich dankbar, dass er mir unter die Arme greift und mir finanzielle Sicherheit gibt. Kreativität ist ein Bedürfnis von mir, weil ich so mit meiner Zeit etwas tun kann. Aber ich muss schauen, dass ich damit sparsam umgehe, denn ich bin schnell energetisch überfordert und gestresst. Meine Auftritte und Tätigkeiten waren überhaupt nur möglich und realisierbar, weil mich Menschen unterstützt und psychisch und physisch begleitet haben.
Es sind noch einige Projekte geplant (siehe hier) wie soll das funktionieren ohne die Bestätigung der Öffentlichkeit?
Um auf diese Projekte aufmerksam zu machen, muss ich nochmals Promo machen. Aber dieses Mal unter neuen Bedingungen, die ich für mich definiert habe. Also nicht mehr um jeden Preis und ohne meine Biografie zu thematisieren. Das habe ich auch klar kommuniziert. Mit dem Risiko, dass die Presse nicht mitmacht. So ist es aber ein Kompromiss, der für mich psychisch noch tragbar ist. Ob und inwiefern die Projekte auf Interesse stossen, liegt nur begrenzt in meiner Hand. Ich nehme es, wie es kommt. electroboy hatte Erfolge und Misserfolge. Ich kenne beides und beides hat Vor- und Nachteile.
Glaubst du, du hast deine Bestätigung aus der Wahrnehmung der «Öffentlichkeit» bekommen? Oder anders gefragt: Wie willst du künftig dich selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit verwirklichen? Wird das funktionieren?
Ich habe vor, in Zukunft anonym kreativ zu sein. Dies im kleinen Rahmen mit möglichst viel Freiheit und ohne Menschen, die kommerzielle Interessen haben. Ich habe bereits Ideen und ich freue mich auf die neue Herausforderung. Ob mir die Bestätigung der Öffentlichkeit fehlen wird, weiss ich noch nicht. Es ist gut möglich. Aber wenn, dann ist das Wieso Inhalt der Therapie und es darf kein Grund sein, sie wieder zu suchen.
Florian Burkhardt wurde 1974 geboren und wuchs in der Innerschweiz in beengenden Familienverhältnissen auf. Er war Snowboardpionier, ging mit 21 nach Hollywood und erlangte Ruhm als internationales Topmodel.
Später wurde er Internetavantgardist und als Veranstalter König der Zürcher Clubszene. Sein Leben auf der Überholspur fand in der psychiatrischen Klinik ein abruptes Ende, als Burkhardt an einer schweren Angststörung erkrankte.
Seine Biografie wurde 2014 von Regisseur Marcel Gisler mit dem preisgekrönten Kinodokumentarfilm «Electroboy» verfilmt.
2017 und 2018 erschienen bei Wörterseh Burkhardts autobiografische Romane «Das Kind meiner Mutter» und «Das Gewicht der Freiheit».
Mit dem Musikprojekt «electroboy.ch», einer Party und einer Ausstellung zieht sich Florian Burkhardt alias electroboy aus der Öffentlichkeit zurück - es wird aber noch gefeiert.
«Das fliegende Spaghettimonster» (EP / Mini Album) ist eben erschienen. Die Musik bzw. Texte sind schräg, passend und gut. Einfach mal reinhören, Anspieltipp: "Im Augenblick" und "Setzt dich auf mich"
BORN THIS WAY electroboy Special
Samstag, 8. Juni 2019
Gaskessel, Sandrainstrasse 25, 3007 Bern
Türöffnung: 23 Uhr
Vorverkauf: 15 CHF, Abendkasse: 20 CHF
Um electroboy öffentlich zum Abschluss zu bringen, gibt es eine electroboy-Ausstellung am Sonntag, 16. Juni 2019 von 12-17 Uhr in der Sattelkammer in Bern.
electroboy Ausstellung
Sonntag, 16. Juni 2019, 12-17 Uhr
Sattelkammer – Zähringerstrasse 42, 3012 Bern
Freier Eintritt