An Heiligabend startet im Kino mit «Ich bin dann mal weg» die Verfilmung von Hape Kerkelings gleichnamigen ersten Buch. Ein so gewaltiger Erfolg, der ihn kaum los lässt.
Von Daniel Diriwächter
Horst Schlämmer oder Uschi Blum sind Geschichte, wie Hape Kerkeling (50) vor einem Monat in Zürich auf der Pfauenbühne erklärte. Und er schaute dabei in traurige Gesichter. Nicht, dass es nicht schon bekannt wäre, dass Kerkeling dem TV-Geschäft den Rücken kehrt - und damit auch seinen liebgewonnen Figuren. Aber wahrhaben wollte es das Publikum trotzdem nur sehr schwer. «Diese Charaktere wurden mit der Zeit zu gross, und die künstlerische Freiheit damit zu klein», wie der deutsche Entertrainer noch beifügte.
Kerkeling war Ende Oktober zu Gast in Zürich. Mit im Gepäck sein zweites Buch «Der Junge muss an die frische Luft», das bereits im Frühling veröffentlicht wurde. Darin beschreibt Kerkeling seine ersten zwölf Lebensjahre, vom «Spiegel» als Kindheits-Roman bezeichnet, die darlegen, wie Kerkeling zu dem wurde, was er heute ist. Dieses jüngstes Werk steht aber im Schatten seiner anderen Erfolge, wie Kerkeling es selber wohl bemerkt hat. Und sein neues Buch ist sehr viel anders, als sein Erstling «Ich bin dann mal weg»; seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.

Auf dem Jakobsweg
Kerkelings Pilgerreise auf dem Camino Francés darf als bahnbrechend bezeichnet werden – zumindest, was die Version auf Papier anbelangt. Laut Wikipedia verkauften sich bislang mehr als vier Millionen Exemplare und gilt weiter als erfolgreichstes deutsches Sachbuch seit «Götter, Gräber und Gelehrte» von C.W. Ceram aus dem Jahr 1949. Kerkelings Worte, seine Leichtigkeit in der Erzählung, gepaart mit dem nie aufgezwungenem Tiefgang, liessen nicht nur die Kassen klingeln, sondern führten auch dazu, dass die Pilgerzahlen auf besagtem Weg seit der Veröffentlichung 2006 fast sprunghaft anstiegen.
Wie aus einem Pilger-Tagebuch ein Bestseller wurde, dürfte auch Kerkeling überrascht haben. Er schuf mit seinem charmanten Reisebericht quasi sein Magnus Opus, unerreichbar für Kerkelings weitere Arbeiten – beinahe auch unantastbar für den Menschen hinter den Zeilen selbst. Logisch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich die Filmindustrie dem Stoff annahm. Doch wie verfilmt man ein Sachbuch? Da Kerkelings Erzählung durchaus einen dramaturgischen Fluss mitsamt rotem Faden hat, konnte die Drehbuchautorin Jane Ainscough aus den Vollen schöpfen.
«Ich sitze halt gerne»
Dank dem Produzenten Nico Hofmann («Der Medicus») und Regisseurin Julia von Heinz («Hannas Reise») kommt nun Kerkelings Jakobsweg an Heiligabend in die Kinos. Die vermeintlich grosse Überraschung: Nicht der Entertainer pilgert nochmals durch Spanien, sondern Schauspieler Devid Striesow übernimmt dankbar die Rolle des Protagonisten. Und das hat seinen berechtigten Grund. Wie Kerkeling ebenfalls in Zürich erwähnte, ging er den Jakobsweg bereits vor 14 Jahren. Es wäre schlicht nicht glaubhaft gewesen, wenn er heute mit 50 Jahren nochmals mit dem Pilgerstab unterwegs wäre – nicht ohne ironischen Verweis auf sein Übergewicht sowie dem Satz «Ich sitze halt gerne».
Ausserdem wollte er den Kritikern des Films auch nicht zumuten, «ihn selbst» zu beurteilen. «Was hätten sie schreiben sollen? Hape trifft sich selbst auf den Punkt?», wie er lachend von der Bühne her sagte. Und gerade dann bemerkte man eine gewisse Nachdenklichkeit beim Künstler, denn wie eingangs erwähnt, Kerkeling war gewiss nicht für eine weitere Lesung und Fragestunde zum Pilgerweg unterwegs, sondern für einen Blick zurück in seine Kindheit.
Die Flucht nach vorne
So schien es, dass Hape zwar Perücken und Klamotten seiner Figuren im Keller verstauen kann, aber sich selbst - und besonders seinen spirituellen Weg - unmöglich aus dem Weg gehen kann. So blieb das Buch «Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich» etwas im Hintergrund. In der Tat, der Jakobsweg vermag sicher mehr Neugierige anzulocken, als die Kindheit von Kerkeling, trotzdem verdienen auch diese Worte Aufmerksamkeit.
Es ist Kerkelings Erklärung, warum er so ist wie er ist, aber ohne Firlefanz oder irgendwelchen abgehobenen Ereignissen. Viel eher ist es die Geschichte eines bodenständigen Jungen aus dem Ruhrgebiet, der am frühen Tod seiner Mutter nicht zerbrach, sondern mit zwei Grossmüttern wahre Heldinnen des Alltags zum Schutz und Seelenwohl auf seiner Seite zählte. Kerkeling schildert diese ersten Lebensjahre ohne Pathos und trotzdem mit viel Liebe.
Am Ende war eine Erklärung «über» Kerkeling nie nötig. Schliesslich soll man Schönes nicht ständig hinterfragen. Da sich Kerkeling aber von der grossen Bühne zurückziehen wird und die Geschichten über seine Kindheit, insbesondere jene mit seiner Mutter, nun erzählt sind, mutet sein zweites Buch wie eine Flucht nach vorne an. Es markiert das Ende eines Kapitels und einen Neustart mit 50 Jahren. In Italien wird das sein, wie Kerkeling hoffnungsvoll erzählt. Fast so, als würde er nochmals sagen: «Ich bin dann mal weg». Und da ist er wieder – der Jakobsweg.
Ich bin dann mal weg
Warner Bros.
Im Kino ab 24. Dezember
Der Junge muss an die frische Luft
Piper Verlag GmbH, München
Im Handel