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Cruiser-Kolumnist Michi Rüegg nimmt Abschied von Martin Ender


Auf Wiedersehen, Martin

Michi Rüegg nimmt Abschied von dem Menschen, der schuld ist, dass er jeden Monat in die Tasten hauen muss. Auf Martin Ender war immer Verlass. Wenn ich wieder das Abgabedatum für meine Kolumne verpasst hatte, stöberte er mich im Dschungel irgendeiner Tropeninsel auf und erinnerte mich sanft daran, dass die Druckpresse bereits laufe und ich doch so nett sein solle, ein paar Zeilen zu liefern. Fand er mich mal nicht, tat er nichts dergleichen und stellte einfach das Heft um.

In gewisser Weise – so unpassend dieser Gedanke ist – passt sein plötzlicher Tod zur Art, wie er all die Jahre mit seinem unzuverlässigsten Mitarbeiter umgegangen war. Ich hatte mir nämlich das ganze Wochenende über Gedanken gemacht, was ich hier schreiben sollte. Nichts wollte mir einfallen. Dann kam die Nachricht, dass Martin gestorben ist. Damit war das Thema gesetzt. Er rettete mir einmal mehr den Arsch. Denn es wäre undenkbar, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Martin ist der Grund, weshalb ich seit zehn Jahren für den Cruiser schreibe. Nachdem mich das Vorgängerheft des Vorgängerhefts des «Display» rausschmiss, um meine Kolumne durch die originelle Rubrik «Ein Tag im Leben von» zu ersetzen, bot Martin meinen Buchstaben Asyl. Ich traf ihn ein erstes Mal im «Odéon», dort erzählte er mir Brocken aus seiner Lebensgeschichte. Sie war um so vieles spannender als meine. Dabei war er einst am selben Ort gestartet wie ich: als Werbetexter.

Als ich nach Jahren der Abstinenz beschloss, auf die Bühne zurückzukehren, und mit «Comeback» eine abgehalfterte Ex-Opernsängerin zu spielen, waren Martin, sein Partner Walter und der ebenfalls im Hause wohnhafte Vivat zur Stelle: Sie fummelten mich zurecht, behängten mich mit Klunkern und brachten einen glitzernden Vorhang aus ihrer Garage, der früher in einem Travestieschuppen in der Zürcher Altstadt gehangen hatte. Ein bisschen Glamour musste sein. Glamour hatte Martin einst über die Massen genossen, als er zusammen mit seinem Partner einige Zeit ein gefeierter Zirkusartist war. Stars in der Manege, Martin mittendrin. Sass man bei den beiden zuhause im Aargau, auf dem vom Hund malträtierten Sofa, war von dieser Glitzerwelt nicht viel zu spüren. Einzig das Funkeln in ihren Augen zeugte von ihrer schillernden Vergangenheit. Und die Geschichten, die in der Regel Walter zum Besten gab, gelegentlich sekundiert durch ein paar Sätze des stets ruhig wirkenden Martin, hörten sich an wie ein Best of aus zehn Jahren Gala und Bunte.

Das Fiese am Tod ist, dass er häufig relativ unerwartet auf den Plan tritt. Seit einiger Zeit nämlich hatten Martin und ich darüber geredet, uns mal wieder zu treffen und ausgiebig zu unterhalten. Hier bei mir, bei ihm oder im Ferienhaus in den Bergen, wo er die Zivilisationsflucht übte. Häufig schiebt man Vorhaben vor sich hin, bis es nichts mehr zu schieben gibt. Das ist beklagenswert, aber schuld daran ist man letztlich selber. Man hätte ja gekonnt, aber tat einfach nichts. Bis es zu spät war.

Das ärgert mich. Ja. Aber noch mehr als ärgern, macht es mich traurig. Vielleicht sollte ich mich mal wieder an den Tisch setzen und eine Liste machen mit Dingen, die ich schon lange tun möchte. Schliesslich führt mir Martins allzu frühes Ableben auch vor Augen, dass mein eigenes irdisches Dasein irgendwann zu Ende ist. Es geht nicht darum, jeden Scheiss auszuprobieren. Es geht darum, die Dinge zu tun, die einem wirklich etwas bedeuten. Bevor es zu spät dafür ist. Nun, Martin. Ich werde gelegentlich eine sehr gute Flasche Wein auf dich aufmachen. Dass du mir deine Hälfte des Flascheninhalts überlassen wirst, überrascht mich nicht wirklich. Es zeugt von deinem Wesen. Dem Wesen eines Menschen, dem andere wichtiger waren als er sich selbst.


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