Weniger ist manchmal mehr
Mit «Schattenschnitt» legt Sunil Mann im August 2016 bereits seinen sechsten Roman um seinen sympathischen Protagonisten Vijay Kumar vor.
Sunil Mann, in dessen Adern ebenso indisches Blut fliesst wie in denen seines Helden, hat sich dieses Mal viel vorgenommen, zu viel vielleicht?
Zur Story: Vijay, bei dem es im Privaten zur Zeit nicht optimal läuft – sein dementer Vater kann von seiner Mutter nicht mehr zu Hause versorgt werden und muss in ein Zürcher Pflegeheim, die Beziehung zu seiner Freundin Manju scheint sich auf einem Tiefpunkt zu befinden – stolpert einmal mehr über ein Verbrechen und somit über einen neuen Fall. Bei der auf offener Strasse Überfallenen handelt es sich um die Filmemacherin Pina Gilardi, die offenbar für einen Dokumentarfilm ein zu heisses Eisen angefasst hat. Nach und nach stossen der Privatdetektiv, unterstützt von seinem Freund, dem Journalisten José, und Miranda, seiner brasilianischen Freundin, in die Untiefen eines Medikamentenskandals, der seine Kreise von Zürich bis nach Indien zieht. So weit, so gut.
Einmal mehr gelingt es Sunil Mann, das LGBT*-Milieu Zürichs, insbesondere des Kreis 4, in seinen vielen Facetten lebendig darzustellen. Trotzdem hat man als Leser schnell das Gefühl der Überfrachtung, denn nicht nur, dass die Tote natürlich in einer lesbischen Beziehung lebt, nein, selbst bei seinem Ausflug nach Indien trifft Kumar auf seine Cousine, die seine Mutter als Ehefrau für ihn auserkoren hat, und diese Cousine ist, tatarata: lesbisch, wagt dies aber nicht ihren Eltern zu sagen und ist somit heilfroh, dass Vijay nicht an ihr interessiert ist.
Überhaupt der Trip nach Indien. Kumar hält es für dringend notwendig, sich die Orte, an denen die Tote recherchiert hat, selbst anzusehen und fliegt dafür kurzfristig nach Indien. Das gelingt ihm allerdings nur, weil die Tochter der Angestellten der Botschaft in Bern ein riesiger Fan von ihm ist. Eines Zürcher Detektivs, der in einem winzigen Büro hockt, das er zudem noch mit seiner Freundin als Wohnung nutzt?
Den Hintergrund für die ganze Geschichte bilden übrigens die Hijras, das so genannte dritte Geschlecht in Indien. Hiermit greift Mann einmal mehr und sehr folgerichtig ein Thema der Gesellschaftspolitik auf. Aber muss er dafür so grosse Kreise ziehen? Den meisten Lesern wird es bekannt sein, dass es in jeder Gesellschaft Ausgrenzungen von andersartigen und speziellen Lebens- und Daseinsformen gibt.
Dass dies in Ländern, die zum Teil noch durch sehr strenge gesellschaftlichen Regularien bestimmt sind, wie zum Beispiel Indien mit seinem weiterhin existenten Kastensystem, zu teilweise lebensbedrohenden Diskriminierungen führt, ist sicherlich auch kein Geheimnis.
Eine Verknüpfung von Pharmaskandal und dem Schicksal der Hijras, gepaart mit aufklärerischen Ansprüchen, nimmt dem Roman leider einen Grossteil der Leichtigkeit, die man sonst von Sunil Manns Romanen gewohnt ist. Es ist sicherlich etwas Ehrenwertes, sich um die Rechte von Unterdrückten zu kümmern und ihnen eine Plattform zu geben. Dies ist allerdings nicht unbedingt das, was – vor allem in diesem Umfang – der Leser von einem Kriminalroman erwartet.
Fazit: Der Roman hält den Ansprüchen stand, wenn es um die Schilderungen des Zürcher Milieus geht. Er ist sicherlich auch gut recherchiert, was die Hintergrundgeschichte angeht. Insgesamt wirkt das Ganze aber durch das Aufgreifen zu vieler relevanter Themen (HIV-Positive, medizinische Versuche, Übergriff auf eine Lesbe, Hijras, indische Mafia) zu konstruiert und unglaubwürdig. Das ist schade, denn an vielen Stellen, z. B. als es um die Schilderung der Schwierigkeiten des Vaters im Heim geht oder auch bei der Beschreibung der ziemlich abgefuckten, aber immer interessanten Randgestalten im Kreis 4, gelingt es Mann, den Leser auf eine kurzweilige Art zu unterhalten.
Sunil Mann: Schattenschnitt. Ca. CHF 15.90 (Kindle-Edition: 9,99 €). 320 Seiten. Erschienen am 23. August. ISBN 9783894254766.
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