Madonna misst sich im vor wenigen Wochen erschienenen Album mit jüngeren Pop-Diven wie Beyoncé, Rihanna oder Ariana Grande - und geht grandios unter.
Team Cruiser & Werner Herpell
Das Letzte, was Madonna nach einer phänomenalen Karriere mit über 300 Millionen verkauften Tonträgern und sieben Grammys verdient hat, ist Mitleid. Doch genau dieser Gefahr setzte sich der weibliche Megastar der 80er-Jahre im Mai beim ESC-Finale aus.
Wacklig und stimmlich indisponiert wirkte die 60 Jahre alte Sängerin auf der riesigen Bühne in Tel Aviv. Voller Sorge (oder auch Häme) wurde daher Madonnas neues Studioalbum «Madame X» erwartet. Stürzt die «Queen of Pop» mit der angekündigten Ausrichtung auf modische Latino-Sounds noch tiefer? Oder kann sie sich noch einmal neu erfinden? Wie 1998, als sie dem Abstiegs-Geläster ihr Elektropop-Meisterwerk «Ray Of Light» entgegenschleuderte.
Dünne Stimme
Madonnas eher dünne Stimme klingt auf der Platte durchaus besser, auch jünger als an diesem vermaledeiten Abend zwischen all den Möchtegern-Popsternchen beim ESC. Gleich im ersten Song «Medellín» trifft die US-Amerikanerin mit Teilzeit-Wohnsitz Lissabon die Töne hell und klar - wenn auch im Studio nachbehandelt. Neben ihr rappt der Kolumbianer Maluma. Man denkt zurück an «Despacito», den Latinpop-Ohrwurm von 2017, oder auch an Madonnas «La Isla Bonita» von 1986. «One, two – cha cha cha» säuselt Madonna zu einem mittelschnellen Beat. Sommerhits kann sie also noch. Doch danach geht es bergab - mit «Dark Ballet», das viel zuviel auf einmal will. «I can dress like a boy, I can dress like a girl» singt Madonna, als wolle sie ihre einst grenzenlose Gender-Allmacht beschwören. Zuerst Ballade, dann urplötzlich ein Piano-Solo und Klassik-Kitsch, schliesslich eine vermeintlich coole Spoken-Word-Passage – und andauernd diese im heutigen Pop fast schon wieder aus der Mode geratene Stimmenmanipulation per Autotune: Ein kunterbuntes Durcheinander ist dieses «Dark Ballet», unfreiwillig komisch, ja bizarr - und gewiss nicht so modern wie von der Pop-Veteranin mit dem einst zielsicheren Trendbewusstsein erwünscht. So richtig erholt sich das unruhige, mit rund einer Stunde Spieldauer viel zu lange Album von diesem Tiefpunkt nicht mehr.
Madonna sieht sich in «Killers Who Are Partying» auf der Seite der Schwachen, Verfolgten und Beladenen. Gut gemeint - aber textlich: nun ja... Dennoch muss gesagt werden: Madonna hat sich immer für die LGBT*-Community und für Gleichstellung eingesetzt. Dafür sind wir dankbar. Und wir vom Cruiser hoffen, Madonna findet wieder zu sich selbst zurück. Musikalisch würde ihr das mit entsprechenden Remixen aus dem eben erschienenen Album gelingen.
Altbackene Tracks
Mehrere aufwendig produzierte R&B-Balladen und Midtempo-Lieder enthält «Madame X» - da konkurriert die 60-Jährige selbstbewusst mit ihren Nachfolgerinnen. Auch manche Hinweise auf Madonnas Liebe zu Portugal gibt es in den mehrsprachigen Songs. «In Lissabon wurde meine Platte geboren», sagt sie, dort habe sie «eine magische Welt mit unglaublichen Musikern» entdeckt. Doch trotz Klangfarben wie Akkordeon und Orgel kommt vieles auf der zweiten Albumhälfte kaum über Füllmaterial hinaus. Am überzeugendsten kriegt Madonna kurz vor Schluss «I Don’t Search I Find» hin – der knackige House-Song ist allerdings fast eine Selbstkopie vom 30 Jahre alten Dancefloor-Knaller «Vogue».
Der Gesamteindruck: Die erfolgreichste, zeitweise auch einflussreichste Musikerin der Pop-Moderne klingt nicht mehr modern - und ihre neue Platte wie ein Dokument der Ziellosigkeit. Ein Totalabsturz ist «Madame X» nicht. Irgendwie ist Madonna nicht mehr hip, sondern ziemlich egal.