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Buchtipp: Wenn zwei Schriftsteller sich treffen

Georges Simenon und Friedrich Glauser lebten zeitgleich und trafen sich nie. Was wäre aber gewesen wenn?


Von Birgit Kawohl


Man kennt es aus der neueren Literatur, dass der oder die Schriftsteller*in einen Plot hinter dem Plot kreiert, quasi eine Metabene schafft, auf der man als Leser*in das Schreiben hautnah begleiten darf. So etwa jüngst geschehen in Joël Dickers «Das Geheimnis von Zimmer 622», in dem sich der Autor selbst auf die Suche nach der Lösung eines Geheimnisses in seiner Heimatstadt Genf macht.

Ursula Hasler geht in ihrer Story sogar noch einen Schritt weiter: Sie lässt zwei berühmte Kriminalschriftsteller, nämlich Friedrich Glauser und Georges Simenon, in einem Küstenort in Frankreich aufeinandertreffen und die beiden spinnen zusammen einen neuen Kriminalroman.

Das klingt unglaubwürdig? Ist es aber überhaupt nicht, im Gegenteil, Hasler gelingt es, das Ganze mit einer so grossen Portion Plausibilität auszustatten – der Grund dahinter sind sicherlich ihre vorab durchgeführten Recherchen, die von einer langen Beschäftigung mit beiden Autoren und mit dem Literaturgenre zeugen -, dass die Geschichte absolut logisch daherkommt.



Also Friedrich Glauser ist – wie eigentlich immer in seinem Leben – finanziell und kräftetechnisch am Ende und in einem kleinen Seebad auf der Jagd nach einem Rezept für das dringend von ihm benötigte Morphium. Just in diesem Seebad weilt der französische Schriftsteller Georges Simenon im Urlaub. Man begegnet sich und kommt auf die Idee, eine gemeinsame Geschichte zu erfinden, Glauser wirft seinen Studer ins Feld, Simenon, dessen Maigret in den Ruhestand getreten ist, lässt eine neue Ermittlerin auftreten: Amélie Morel (die an einigen Stellen definitiv Züge von Agatha Christies Miss Marple hat und das nicht nur, weil sie eben auch eine Mademoiselle ist).


Das Spannende an dieser Konstruktion ist, dass die Ermittler*innen nicht nur einen Fall lösen, sondern dass Hasler immer wieder auf die Metaebene schwingt und die beiden Autoren über das Schreiben eines Kriminalromans an und für sich debattieren lässt. Dabei kommen Glauser, vom Franzosen immer hübsch «Glosère» intoniert, und Maigret unter anderem auf die literarische Frage zu sprechen, wie man ein bekanntes Genre noch interessant machen kann, sie gelangen aber auch auf eine höhere, moralisch-ethische Ebene, wenn sie diskutieren: «Darf ein Kriminalromankommissar der Gerechtigkeit helfen und nicht dem Recht?» Eine Frage, die jede*n Betrachter von Krimis oder auch Straftaten in der Realität beschäftigt, wenn es darum geht, dass man eine Tat nachvollziehen kann, weil vielleicht der oder die spätere Täter*in vorab zum Opfer des späteren Opfers geworden ist. Eine Frage, die sich ein Schriftsteller von Kriminalromanen immer wieder stellen muss, schafft er doch oftmals über die Emotionen seine Verbindung zur Leserschaft.


Das zunächst gewagt scheinende Konstrukt geht im Fall vollkommen auf und man ist als Leser*in so von Glauser und Simenon, ihren Diskussionen, aber auch von der erdachten Kriminalgeschichte gefesselt, dass man sich ein weiteres Doppel durchaus vorstellen kann. Andererseits begibt man sich anschliessend flink zum Bücherregal, um noch einmal einen Studer-Roman zu lesen, denn davon wird man so nebenbei auch angefixt.


Ursula Hasler: Die schiere Wahrheit. Glauser und Simenon schreiben einen Kriminalroman. Limmat Verlag 2021. ISBN 978-3-03926-020-1. CHF 35.90.

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