Er nimmt’s im Leben gerne gemütlich und mag’s harmonisch. Aber wenn es ums Schreiben geht, brennt in ihm der pure Ehrgeiz. Sunil Mann ist unter anderem mehrfach ausgezeichneter Krimiautor aus Zürich und legt die Handlungen im Milieu fest, in dem er selbst viele Jahre gelebt hat.

Nein, wie ein bodenständiger Berner Oberländer sieht Sunil Mann nicht aus. Der Buchautor klingt auch nicht so, aber er kann. Und das nicht zu knapp. Sunils Eltern waren aus Indien in die Schweiz gezogen und haben sich im Kanton Bern niedergelassen. Geboren ist Sunil in Zweisimmen und aufgewachsen in Spiez am Thunersee. Doch ist der urchige Oberländer-Dialekt schon lange abgeebbt – der heute 44-Jährige lebt seit bald drei Jahrzehnten in Zürich. Am Kreuzplatz im Kreis 8 teilt er sich mit seinem Partner Piero, mit dem er seit sechs Jahren liiert ist, eine Wohnung. Zuvor hatte Sunil knapp 20 Jahre im Chreis Cheib verbracht, hat die Zürcher Club- und Gay-Szene in ihrer Hochblüte miterlebt oder besser gesagt mitgemacht. Viele Zürcher, die heute in ihren 30ern und 40ern sind, erinnern sich noch lebhaft an die Laby- oder Aera-Zeiten. So auch Sunil. «Ich bin froh, dass ich Zürich noch so erlebt habe. Damals war hier einiges los.» Aus den Erfahrungen dieser Lebensphase schöpft Sunil immer wieder gerne für sein leidenschaftliches Hobby, das zugleich Berufung und Beruf ist: Der ambitionierte Schriftsteller lässt seine Geschichten fast immer ausgehend vom Kreis 4 spielen. Figuren, Orte, Handlungen, ja gar subtile Feinheiten sind häufig von seiner Zeit im Langstrassenquartier inspiriert.
Der Raum, den er braucht
Doch erstmal von vorn: Seine Liebe zum Schreiben scheint Sunil direkt in die Wiege geplumpst zu sein – selbstredend wurde es zu seinem stärksten und meistgeliebten Schulfach. Seine begonnenen Studien in Zürich nach der Matura brach Sunil schnell wieder ab, doch um nicht ohne Abschluss zu bleiben, absolvierte er die Belvoirpark-Hotelfachschule. Doch ein Beruf im Gastgewerbe oder in einem Hotelbetrieb stand für ihn weitgehend ausser Frage – wie sollte ihm so ein Job das ausgiebige Schreiben ermöglichen, dem er sich bereits seit seiner Mittelschulzeit in Interlaken verschrieben hatte?
Eine passende Zweitbeschäftigung fand Sunil bei der Swiss als Cabin Crew Member. Die langen Pausen zwischen den Flugsegmenten und auch die Aufenthalte an den Destinationen gewährten ihm von Anfang an den Raum, den er für seine Passion als Schriftsteller benötigt. «Wenn es nämlich ums Schreiben geht, dann bin ich richtig ehrgeizig», betont Sunil, der sich sonst als gemütlichen Typ beschreibt, welcher sein Leben lieber auf einem «Easy going»-Level hält und gelegentlich manche Dinge mit einer eher laschen Haltung angeht – das Schreiben wohlbemerkt ausgenommen. Sunil selbst zeichnet gar das Bild eines Lebensstils, der zumindest vordergründig unaufgeregt klingt, beschreibt seine solide Beziehung, bei der beide fest im Leben stehen und ihren Jobs nachgehen. «Das klingt vielleicht etwas langweilig», schmunzelt er. «Aber es stimmt für uns beide genau so, wie’s ist.» Wir erinnern uns: Seine Zürcher Partyzeit hat er eh hinter sich gelassen, «il ne regrette rien», und das sei gut so, sagt er dazu. Ihm bleibt jetzt auch im Privatleben der Raum, den er braucht, um zu schreiben. Und wenn mal wieder eine Story fertig ist, so ist sein Freund Piero der erste, der sie zu lesen kriegt. Nicht, dass dieser etwa die Wahl hätte. «Er muss, ob er will oder nicht», sagt Sunil und grinst. «Piero dürfte allerdings manchmal ruhig etwas kritischer sein», findet er. Aber die massgebliche Kritik erhält er ohnehin von seinem Verleger und den Lektoren.
Den Chreis Cheib abgebildet
Wer Sunil Mann schon gelesen hat, weiss, worum es in seinen Geschichten geht. Sein «Steckenpferd» – wenn man es denn so nennen will – ist eine Krimireihe mit dem indischstämmigen Privatdetektiv Vijay als Protagonisten, der seine Detektei selbstverständlich im Kreis 4 hat. Und hier laufen alle Handlungsstränge immer wieder zusammen, selbst wenn die Exkurse bis nach Indien reichen. Üblicherweise läuft alles ohne blutige Horrorszenarien und brachiale Gewalt ab. Oft spielt der Autor mit süffiger Witzigkeit, Schalk und Sarkasmus. Landläufige Vorurteile und Klischees werden bewusst bedient oder auch entkräftet.
«Der Kreis 4 eignet sich natürlich bestens als Schauplatz für Kriminalgeschichten. Die sozialen Strukturen sind hier besonders ausgeprägt, Kulturen aus aller Welt leben hier nebeneinander. Ich habe sehr gerne hier gewohnt.» So erkennt der Leser in den Schilderungen auch viele Lokale und Schauplätze, ja gar real existierende Figuren. So beispielsweise die Männerzone an der Kernstrasse. Der Laden heisst natürlich anders im Buch, und auch aus dem Inhaber Melchior wird kurzerhand ein Balthasar. Doch jeder, der hier schon mal war, erkennt die Männerzone sofort. Sunils Kriminalromane geben ein authentisches Abbild des Zürcher Stadtkreises 4 und der dortigen kunterbunten gesellschaftlichen Verhältnisse, dabei berücksichtigt er gar deren Wandel in den letzten Jahren.
Dass das Vorbild der Figur Vijay sein Schöpfer selbst ist, liegt auf der Hand. Naturgegeben vermittelt Sunil Mann den multikulturellen Hintergrund der Hauptfigur besonders glaubhaft. «Allerdings ist Vijay fünf Jahre jünger als ich», sagt Sunil mit grossem Augenzwinkern. Den ersten Vijay-Kriminalroman «Fangschuss» brachte Sunil Mann 2010 auf den Markt. Ein Volltreffer – er bedeutete seinen Durchbruch. Jährlich folgte ein weiteres Buch mit Vijays aufregenden Fällen, jeweils vom Dortmunder Grafit-Verlag herausgegeben. Nun liegt mit «Schattenschnitt» der sechste Teil dieser Romanreihe vor (siehe Rezension).

Ein Kinderbuch-Debut
Probiert habe er in seiner Autorenlaufbahn bereits alle erdenklichen Stilrichtungen, sagt Sunil, «doch das Krimi-Genre liegt mir einfach», zieht er den Schluss. Auch werde er die Bücherreihe mit Vijay für unbestimmte Zeit weiterführen. Sein Ziel: jährlich eine neue Ausgabe. «Ich brauche einen gewissen Druck, der mich vorantreibt.» Er wolle dauernd gefordert sein. «Also, jedenfalls wenn es ums Schreiben geht», präzisiert er.
Doch sich einzig Vijays Abenteuern zu widmen, wäre irgendwann selbst einem leidenschaftlichen Krimiautoren wie Sunil Mann zu eintönig. Fast zeitgleich mit «Schattenschnitt» erscheint Manns erstes Kinderbuch. Auch wenn er selbst keine möchte – «ich habe Kinder gerne», sagt der 44-Jährige. «In meiner Familie gibt es Kinder. Und in mir selbst steckt auch eins. Das habe ich jetzt ausgegraben.» Dieses bei Orell-Füssli erscheinende Kinderbuch ist Manns Erstling dieser Art. Es handelt von einem frechen Schutzengel, der lernen muss, wie man Verantwortung übernimmt. «Ich bin sehr gespannt, wie es ankommt», sagt Sunil. Und wer weiss, vielleicht gibt es dereinst gar einen Familienroman von Sunil Mann. «Sowas kann ich mir nämlich durchaus vorstellen. Dicke Bücher für ältere Frauen.» Denn erstaunlicherweise fänden sich bei seinen Vorlesungen jeweils auffallend viele Damen reifen Alters. Ob’s wirklich an seinen Büchern liegt oder einfach an seiner sympathischen Ausstrahlung und seinem Charme?

Jetzt aber stehen erstmal mehrere Lesungen aus «Schattenschnitt» auf dem Programm. In Berlin, Hamburg und Frankfurt. «Ich möchte noch mehr Fuss fassen in Deutschland», sagt Sunil. Das ist in seinem Fall insofern etwas anspruchsvoller, als seine Kriminalreihe inhaltlich in der Schweiz lokalisiert ist. Aber er gibt sich zuversichtlich.
«Schattenschnitt» ist im Handel erhältlich. Cruiser verlost exklusiv 6 Bücher von Sunil Mann.