HIV am Arbeitsplatz
In der Schweiz leben 20’000 Menschen mit HIV oder Aids. Trotz der medizinischen Fortschritte werden diese noch immer diskriminiert: auf Reisen, im medizinischen Bereich, bei Versicherungen oder am Arbeitsplatz - die Aids-Hilfe Schweiz hat eine eigens dafür eingerichtete Fachstelle. Dr. iur. Caroline Suter vom Rechtsdienst der Aids-Hilfe Schweiz stellt fest, dass es nach wie vor zu Diskriminierung aufgrund der Diagnose HIV/AIDS kommt. Sie und Ihr Team beantworten kostenlos Fragen rund um HIV und Recht.
Interview: Haymo Empl
Wozu braucht es eure Fachstelle?
Trotz der medizinischen Fortschritte zieht eine HIV-Diagnose auch heute noch eine deutliche Schlechterstellung in zahlreichen Bereichen des alltäglichen Lebens nach sich. Benachteiligungen im Arbeitsumfeld, gegenüber Sozial- und Privatversicherungen, aber auch Datenschutzverletzungen kommen häufig vor. Die Rechtsberatung der Aids-Hilfe Schweiz setzt sich dafür ein, dass Menschen mit HIV zu ihrem Recht kommen und unterstützt sie im Kampf gegen Diskriminierungen.
Existiert denn immer noch eine «Diskriminierung» am Arbeitsplatz?
Leider kommen solche Diskriminierungen immer wieder vor. Rund 10% der uns 2017 gemeldeten Diskriminierungen betrafen das Arbeitsumfeld. Und 25% der Anfragen an die Rechtsberatung im Jahr 2017 bezogen sich aufs Arbeitsrecht.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Ein Mann eröffnete seiner Vorgesetzten im Vertrauen, dass er HIV-positiv ist. Ohne seine Einwilligung informierte diese in der Folge die ganze Belegschaft darüber aus Angst, dass sich jemand anstecken könnte. Daraufhin wurde der Mann von gewissen Mitarbeitenden so gemobbt, dass er die Stelle kündigen musste.
Wie viele Fälle werden von eurer Fachstelle konkret bearbeitet?
Pro Jahr gelangen 300 bis 400 Personen mit rechtlichen Fragen rund um HIV an die Rechtsberatung. Diskriminierungen werden uns jedes Jahr rund 100 gemeldet. 2017 betrafen 40 Diskriminierungen die Sozialversicherungen und 24 Fälle die Privatversicherungen. In zehn Fällen wurden HIV-positive Menschen in der Arbeitswelt benachteiligt, in 14 Fällen ging es um Datenschutzverletzungen. Weiter erfasste die Aids-Hilfe Schweiz Diskriminierungen im Gesundheitswesen (9), bei Einreise- und Aufenthaltsrechten (8) sowie im Ausländerrecht (6).
Inwiefern unterscheiden sich die Anliegen/Probleme in der Rechtsberatung bei/zwischen den LGBT*-Menschen und der heterosexuellen Bevölkerung?
Unsere Rechtsberatung bietet Unterstützung an bei Rechtsfragen und Diskriminierungen, die in direktem Zusammenhang mit HIV stehen. In diesem Bereich sind grundsätzlich keine Unterschiede zu verzeichnen.
HIV und Aids sind nicht mehr «sichtbar», eigentlich sollte daher die Krankheit im Alltag und Berufsleben kaum mehr eine Rolle spielen.
Gibt es Fälle und Situationen, in denen eine HIV-positive Person dennoch eine Angabe diesbezüglich machen muss?
In der Schweiz gibt es keine Pflicht, den Arbeitgeber über die HIV-Infektion zu informieren, auch nicht im medizinischen Bereich, und ein Arbeitgeber hat kein Recht, nach HIV zu fragen. Tut er dies trotzdem, hat man das Recht, die Frage falsch zu beantworten. Es gibt aber immer wieder Leute, die den Arbeitgeber freiwillig über ihre HIV-Infektion informieren möchten. Diese reagieren manchmal sehr gut, manchmal kommt es dann aber auch zu Diskriminierungen oder Datenschutzverletzungen. In den Antragsformularen von Taggeld- und Lebensversicherungen sowie von Pensionskassen im überobligatorischen Bereich wird oft nach HIV und anderen vorbestehenden Krankheiten gefragt. Da dies Privatversicherungen sind, haben sie das Recht, solche Fragen zu stellen und als Antragsteller_in hat man die Pflicht, die Fragen wahrheitsgemäss zu beantworten. Meistens verweigern dann die Versicherungen die Aufnahme oder bringen einen Vorbehalt für HIV an. Besonders im Bereich der Taggeldversicherung, welche die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gewährleistet, kann dies einschneidende Konsequenzen haben. Der medizinische Fortschritt wird von den Versicherungen noch viel zu wenig berücksichtigt.
Wie ist das konkrete Vorgehen, wenn jemand eure Fachstelle kontaktiert? Was passiert nach der ersten Kontaktaufnahme?
Die Kontaktaufnahme erfolgt telefonisch oder schriftlich. Persönliche Beratungen bieten wir keine an, da wir national tätig sind. Je nach Anfrage können wir diese direkt telefonisch oder per Mail beantworten. In den meisten Fällen handelt es sich aber um umfangreichere Beratungen, bei denen beispielsweise eine Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber, der IV-Stelle, der Krankenkasse, des Gerichts oder einer anderen Institution oder Person notwendig ist. Um dies tun zu können, benötigen wir von den Klient_innen eine Vollmacht. Im Bereich des Sozialversicherungsrechts bieten wir auch Rechtsvertretungen an (Einsprachen, Einwände und Beschwerden). Dies sind umfangreiche Beratungen, die sich über Jahre hinziehen und sehr viele Stunden in Anspruch nehmen können.
Menschen mit HIV/Aids und ihre Angehörigen, Beratende, Arbeitgebende, Ärzte, Ärztinnen und andere Interessierte können sich mit Rechtsfragen, die in einem direkten Zusammenhang mit HIV/Aids stehen, telefonisch oder schriftlich an den Beratungsdienst der Aids-Hilfe Schweiz wenden. Die Rechtsberatung ist kostenlos und erfolgt absolut diskret.
E-Mail: recht@aids.ch
www.aids.ch