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AutorenbildMichael Rüegg

Der irgendwie Unantastbare


Sexuell übertragbare Krankheiten heissen so, weil man sie sich beim Sex holt. Doch auf einen Wirt warten die kleinen Erreger seit Jahrzehnten vergeblich. Michi Rüegg beichtet.

Ich will mich heute über etwas beklagen, das in keiner Weise beklagenswert ist. Ich verstehe auch, wenn du, liebes Lesendes mich nach der Lektüre dieser Kolumne noch bescheuerter findest als vorher.

Die Sache ist die: Gelegentlich juckt‘s irgendwo in der Körpermitte. Oder der Hals ist entzündet. Es brennt beim Pissen. Die Rosette ist gerötet. Ich beobachte diese Symptome und lasse mich bei nächstbester Gelegenheit auf sexuell übertragbare Krankheiten testen. Die glorreichen Drei halt, Syphilis, Tripper, Chlamydien. Ja, ich habe Jahr um Jahr brav Safer Sex gemacht, wie mir eingeimpft wurde. Doch 1. schützen Präser nicht wirklich vor den glorreichen Drei, solange man nicht auch noch einen über den Mund stülpt und 2. nun, wie soll ich sagen... Seit ich PreP nehme, ist das Risiko, etwas zu erwischen, bestimmt nicht geringer geworden.

Doch jedes verdammte Mal, wenn ich die Tests mache, kommt zurück: Da ist nix. Und seltsamerweise sind mit jedem Testergebnis auch die Symptome weg.

Man sollte sich wirklich nicht über die Abwesenheit von Krankheiten beklagen, das ist mir bewusst. Ich habe kein Bedürfnis nach Gonorrhö und Konsorten, echt nicht. Aber ich frage mich langsam: Was muss ich denn noch alles tun, damit ich mal für meine Ausschweifungen die Quittung kassiere? Ich finde es schlicht ungerecht, dass ich so viel Schwein habe.

Robert – der wie alle hier nicht Robert heisst, weil ich ja ein diskreter Mensch bin –, dieser Robert holte sich neulich einen Tripper von seinem eingetragenen Lebenspartner, und das, obwohl die beiden in einer monogamen Beziehung sind, wie sein eingetragener Lebenspartner ihm versichert hat. Das muss so etwas wie eine unbefleckte Übertragung gewesen sein.

Ein anderer, Dominic, auch er heisst nicht so, beklagte sich vor Jahren – er hatte eine noch melancholischere Phase als sonst – dass er kaum noch Männer treffe. Und wenn er doch mal mit einem intim wurde, gab‘s kurz drauf Antibiotika. Ich glaube, der machte jede Syphilis-Welle mit, die je Zürich streifte.

Oder Simi, der ungefähr alle vier Jahre einmal Sex hat, weil ihm nur sehr, sehr wenige Männer gefallen, die überdies nicht selten etwas tuntig und gleichwohl hetero sind. Sogar Simi eröffnete mir vor einiger Zeit mit dem breitesten Grinsen auf dem Gesicht, dass er beim Arzt war und bei ihm Chlamydien diagnostiziert worden seien. Ich weiss nicht, wie der das schafft, er hat so gut wie absolut nie Sex. Und trotzdem kriegt er Geschlechtskrankheiten.

Als ich vor einer Weile einen anderen Freund besuchte, bei dem mein altes Sofa steht, wurde ich gebeten, mich nicht auf die erwähnte Couch zu setzen. Es sei eben so, der Freund des Mitbewohners habe irgendwo Krätze aufgelesen, und er verbringe die meiste Zeit des Tages auf dem Sofa. Da dürfe jetzt zwei Wochen keiner mehr seinen Arsch hinpflanzen, bis alle kleinen Krätze verhungert seien.

Sogar meine Mutter hatte Filzläuse, berichtete sie mir. Sie las sie mutmasslich auf einer Restauranttoilette während der Hochzeit ihrer Schwägerin auf. Das fanden meine Eltern Jahre später im angetrunkenen Gespräch mit zwei anderen Hochzeitsgästen heraus, die das Problem unerklärlicherweise etwa zur selben Zeit hatten.

Ich fühle mich schlecht, nicht einmal kleine Tiere nisten sich bei mir ein. Gut, einmal, vor fünfzehn Jahren, hatte ich einen Herpes Genitalis. Zumindest war das die Diagnose einer etwa 17-jährigen balinesischen Ärztin in Denpasar. Sie gab mir Pillen mit, den Wirkstoff Aciclovir. Das einzige, was gegen Herpes wirken soll. Das tat es insofern, als dass die Tabletten mich in eine tiefe Depression stürzen liessen. Aber immerhin waren die Bläschen schnell weg und seither nie wieder gesehen. Weiss der Teufel, ob das wirklich Herpes war. Und einmal, auch lange her, hatte ich einen Pilz am After, aber der war psychosomatisch, weil mein damaliger Freund sich nach drei Jahren Beziehung als recht grosses Arschloch herausgestellt hatte. Ich drückte ein Zäpfchen rein, schmierte antifungale Creme auf meinen Anus und setzte mich ins Mövenpick-Restaurant, wo ich rachsüchtig ein Champignon-Geschnetzeltes bestellte. Die Kombination tat ihre Wirkung.

Nun, sollen sich halt alle anderen anstecken. Bleibe ich eben gesund. Obwohl ich nicht sehr viel dazu beitrage. Wenn ihr mich sucht, liebe Syphilis, liebe Chlamydien, lieber Tripper, geschätzte Feigwarzen – falls ihr mich sucht, ich bin dann mal auf Grindr.


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