In seinem neuesten Werk «Erhebung» kehrt Stephen King an einen altbekannten Ort zurück, nach Castle Rock. Dort ereignen sich merkwürdige Dinge.
Stephen King-Kennern ist Castle Rock, die fiktive Stadt im US-Bundesstaat Maine, seit Langem bekannt. In dem jüngsten (Kurz-)Roman wird der Leser einmal mehr hierhergeführt, um merkwürdige Dinge mitzuerleben.
Scott Carey, ein unauffälliger Mann, geschieden, kinderlos, lebt bisher weitgehend unbeachtet in der Kleinstadt. Bis ihm eine Veränderung an sich auffällt: Er nimmt ab. Obwohl: Das stimmt eigentlich so nicht. Denn er wird lediglich zunehmend leichter, ohne dass sich aber sein äusseres Erscheinungsbild verändert. Scott wiegt zu Beginn über 100 Kilo und das sieht man ihm auch an, Rettungsring und Männertitten, alles also, was man einem dicken Menschen an Attributen so zuschreibt. Als er sich jedoch eines Tages auf die Waage stellt, merkt er, dass er offenbar einige Kilo leichter geworden ist, allerdings sitzt seine Kleidung noch genauso wie vor der Gewichtsreduktion.
So unauffällig Scott eigentlich ist und lebt, so ein Dorn im Auge ist er seinen Nachbarinnen, dem lesbischen Paar Deirdre McComb und Missy Donaldson. Die beiden lassen nämlich mehrfach ihre beiden Hunde ihr Geschäft in Scotts Vorgarten verrichten, was sich zu einem nachbarlichen Kleinkrieg vor allem zwischen Deirdre und Scott entwickelt. Erst als Scott öffentlich Partei für die Frauen ergreift, bessert sich ihr Verhältnis.
Alt gediente King-Leser sind zunächst einmal erstaunt, dass sich der Grossmeister des Horrors dieses Mal erstaunlich kurz gefasst hat; die deutsche Ausgabe umfasst lediglich 144 Seiten, eigentlich die Ouvertüre eines typischen Romans von King. Dementsprechend kommt er auch mit einem geringen Personal (im Wesentlichen teilen sich vier Figuren die komplette Handlung) in zwei miteinander verwobenen Handlungsebenen aus, nämlich der Gewichtsverlust Scotts und die Homophobie innerhalb der Kleinstadt. Das Ganze wirkt auch viel weniger geschwätzig als so manch anderer King-Roman und lässt sich daher flüssig und quasi an einem Stück lesen.
Typische King-Elemente auf erstaunlich wenigen Seiten
Trotzdem enthält das Werk typische King-Elemente wie die Unerklärlichkeit von Ereignissen und das abgeschottete und daher oft extrem konservative Leben in einer amerikanischen Kleinstadt, dieses Mal deutlich gemacht an der Ablehnung des Lesbenpaares («die Fotzenleckerinnen») durch die BewohnerInnen von Castle Rock. Solch eine politische Komponente findet sich ja gerade in den jüngeren King-Werken immer wieder.
Dass Scott ohne sein Zutun immer leichter wird - und daran auch nichts ändern kann -, passt gut in das immer wieder thematisierte Schema, dass guten Menschen böse Dinge passieren, weil das Leben einfach so ist. Und so kann der liebenswerte und grundgute Scott seinem Niedergang- bzw. seiner letztendlichen Erhebung in den Himmel - auch nicht entgehen. Erstaunlich ist dabei, dass der Betroffene sein Schicksal sowohl klag- aber vor allem auch fraglos akzeptiert; anders als noch in seinem 1984 unter seinem Pseudonym Richard Bachman erschienenen und später verfilmten Roman «Thinner», bei der eine ganz ähnliche Situation später auf einen Fluch zurückgeführt wird.
Ohne die vom Protagonisten geforderte Erklärung für seine Veränderung bleibt diese bis zum Ende einfach im Raum stehen, was den Roman ein wenig flach macht, andererseits aber eine nahezu buddhistische Sichtweise vermittelt, Dinge, die sich nicht ändern lassen, hinzunehmen und das Beste daraus zu machen.
Stephen King: Erhebung. Heyne Verlag. ISBN: 978-3-453-27202-6. CHF 18.90.
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