«Behindert, fremd, homosexuell»
- mm
- 28. Okt. 2019
- 4 Min. Lesezeit
Die Paulus Akademie in Zürich lud zu einer Tagung zum Thema Intersektionalität mit dem Ziel, neue Wege der Begegnung zu beschreiten.
Die Paulus Akademie (PA) in Zürich ist ein Forum Für Religion, Ethik, Gesellschaft und Politik. Sie bietet einen Ort für Dialog und Reflexion und stellt Fragen unserer Zeit zur Diskussion – differenziert, interdisziplinär und kritisch. Das Angebot an Referaten und Diskussionen ist breit gefächert, wie zum Beispiel aktuell «Zukunft der Stadt. Wie bleiben unsere Städte lebenswert» oder «Hydra Antisemitismus. Gibt es einen neuen Judenhass?». So ist es nicht erstaunlich, dass die PA am 29. September 2019 zu einer Tagung mit dem Titel «Behindert, fremd, homosexuell» eingeladen hat. Der Titel ist allerdings etwas irritierend. In einem Atemzug wird behindert und fremd mit homosexuell in Verbindung gebracht. Sind Homosexuelle behindert und fremd? Die Titelgebung wird verständlich, wenn dazu der in der Ausschreibung ergänzend erwähnte Begriff Intersektionalität einbezogen wird. Sie ist die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person.

Wie verhält es sich, wenn zum Differenzierungsmerkmal «Behinderung» weitere Merkmale, die von den Normalitätsvorstellungen einer Gesellschaft abweichen, hinzukommen? Wenn beispielsweise ein behinderter Mensch einen Migrationshintergrund mitbringt und homosexuell ist?
c) Paulus Akademie/Luc-François Georgi
Schwul, behindert & Ausländer
Die Referate über die verschiedenen Diskriminierungsformen wurden ergänzt durch Aussagen von Personen, welche «mehrfach behindert» sind, so zum Beispiel Jasmin Jossen. Sie ist psychisch beeinträchtigt, hat viele Klinikaufenthalte hinter sich und sie ist eine Frau. Sie musste sich als Serviceangestellte immer wieder Anzüglichkeiten von Gästen gefallen lassen und konnte sich wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht dagegen wehren. Jasmin Jossen meint, psychisch kranke Männer würden noch stärker diskriminiert als Frauen. Diese gälten per se als schwächer und anfälliger, im Unterschied zu Männern, die Stärke zu zeigen hätten.
Noch beeindruckender sind die Schilderungen von Erwin Aljukic. Er ist Ausländer, homosexuell und behindert. Wegen seiner Glasknochenkrankheit ist er auf den Rollstuhl angewiesen, was ihn aber nicht daran hindert, als Schauspieler im Theater und Film tätig zu sein. Das Besondere: Er muss in bestimmten Rollen nicht den Behinderten spielen, denn er steckt sowieso authentisch in seiner Rolle. Er ist ein gutes Beispiel für Intersektionalität. Geht er in eine Schwulenbar, wird er als Behinderter schräg angesehen, besucht er Verwandte in Bosnien, wird er als Homosexueller gemieden.
Non-Binär & dunkelhäutig
Ein weiterer Gast an der Tagung war Edwin Ramirez. Er ist non-binär, seine Geschlechtsidentität liegt irgendwo zwischen Mann und Frau. Zudem ist er dunkelhäutig und Rollstuhlfahrer. Er hat sich vor einem Jahr geoutet und empfindet dies als «extrem befreiend». Kleider kauft er in der Damen- und in der Herrenabteilung, hin und wieder schminkt er sich. Er hält fest: Als schwarzer, non-binärer Rollstuhlfahrer muss er für den gleichen Lohn und die gleiche Anerkennung doppelt so viel leisten wie andere Arbeitnehmer.
Rebekka Ehret von der Hochschule Luzern, erläutert in ihrem Referat mehrdimensionale Diskriminierungserfahrungen. So erhalten Frauen in den USA in vergleichbaren Positionen nur 85% des Lohnes, welcher Männern bezahlt wird, ganz einfach, weil sie Frauen sind. Sind es schwarze Frauen, sinkt der Lohn auf 65% des Männerlohnes. In der Sozialen Arbeit herrscht dabei oft eine eindimensionale Herangehensweise. Man ist zuständig entweder für Blinde, für Gehbehinderte oder für psychisch Kranke, nicht aber für einen blinden, psychisch Kranken im Rollstuhl. Rebekka Ehret stellt fest, dass es in den sozialen Institutionen oft zu Überforderungen komme und insgesamt in diesem Bereich noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten sei.
Die Sache mit den Voruteilen
Wie diese zeigen, leiden nicht nur Homosexuelle unter Vorurteilen. Die Referentin kann am Beispiel von Jessica aufzeigen, wie absurd Vorurteile manchmal sind. Jessica ist eine reiche, schwarze Frau und Jüdin. Sie passt nicht in das übliche Schema und verunsichert die vorurteilsbehafteten Menschen. Die Katalogisierung nach Rasse, Herkunft oder Geschlecht ist offensichtlich unsinnig und wird häufig von Vorurteilen bestimmt. Trotzdem wird, oft angeheizt durch die Medien, über die Türken, die Moslems oder die Homosexuellen gesprochen.
Es spielt keine so grosse Rolle, ob Behinderte, psychisch Kranke, Ausländer oder Homosexuelle mit Vorurteilen eingedeckt und diskriminierend behandelt werden. Es gibt einen gemeinsamen Nenner: Hinter rigiden Vorurteilen verbergen sich oft Angst und Unsicherheit. Das zu wissen, kann hilfreich sein. Eine wichtige Voraussetzung für den Abbau von Vorurteilen ist der Kontakt mit «den Anderen».
Denkfabrik der Kirche
Die Paulus Akademie Zürich, die zu der Tagung eingeladen hat, wird auch als Denkfabrik der Römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich bezeichnet. Sie ist weitgehend unabhängig von innerkirchlichen Gremien, sei es dem Bischof von Chur oder «denen in Rom». Sie wird auch überwiegend von der kantonalen Körperschaft finanziert und kann so sehr eigenständige Positionen vertreten. Die Meinung der Kirchenvertreter und des Papstes zur Homosexualität ist zwiespältig. So meinte er Ende letzten Jahres: «In unseren Gesellschaften scheint es gar, dass Homosexualität eine Mode ist, und diese Mentalität beeinflusst auf gewisse Weise auch die Kirche.» Das Ausleben von Homosexualität lehnt die katholische Kirche ab, Papst Franziskus spricht sich jedoch immer wieder gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben aus.
Die Paulus Akademie nimmt hierzu eine andere Haltung ein und wandelt die Einschätzung von «Wir sind anders» zu «Wir sind gleichwertig». Es darf gehofft werden, dass auch die offizielle Römisch-katholische Kirche ihre Haltung gegenüber Homosexuellen ändert. Sie nicht zu diskriminieren reicht nicht. Sie muss sie als gleichwertige Menschen anerkennen.
Legende Bild 2
Auch Diversität kann zu Diskriminierung führen. Die Paulus Akademie Zürich versuchte mit einer Tagung, einen differenz- und diversitätsbewussten Umgang mit mehrfach diskriminierten Menschen anzuregen.
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