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Von Literatur lernen

Wir greifen beim Cruiser auch regelmässig Sachbücher zur Rezension auf. Dieses Mal ist uns ein Werk über Literatur in die Hände gefallen.


Von Birgit Kawohl


In den meisten Fällen liest man Literatur einfach so zur Unterhaltung und beschäftigt sich weniger mit dem tieferen Sinn dahinter. Zu prägend waren da für viele die (negativen) Erlebnisse im Schulunterricht, wo man jeden Text in alle Einzelheiten zerpflückte, bis dieser dann schliesslich fragmentisiert und zerstört zurückblieb. Trotzdem ist es manchmal hilfreich, wenn nicht gar notwendig, sich auf eine Metaebene zu begeben, denn Literatur steht niemals nur für sich selbst. Das kann man schon daran erkennen, dass man Werke, je nachdem, wann sie gelesen werden, ganz unterschiedlich wahrnimmt. Etwas, das irgendwann einmal einen Riesenskandal auslöste, bringt die Menschen später nur zu einem müden Achselzucken oder sogar zu einem abwertenden Grinsen.



Nun also legt Benedikt Wolf mit «SexLit» im Querverlag einen Sammelband vor, der sich mit unterschiedlichen Werken der Literatur befasst, in denen es um Sexualität geht. Warum dies ein notwendiges Buch ist, macht Wolf in seiner Einführung deutlich. So sei in den letzten Jahren zwar vermehrt der Fokus auf die Genderfrage gelegt worden, hier sei allerdings die Frage der Sexualität von der der Identität abgelöst worden. Dieser Band füllt nun die entstandene Lücke und hat als Ziel, «frischen Wind» in die Geschlechterforschung zu bringen, denn die Queerstudies seien zunehmend von ideologischen Vorgaben beeinflusst, was schliesslich zu Entsolidarisierungen von Kreisen der LGBT*-Community führe. Dabei sei es aber so, dass wir mit Literatur das Andere erfahren, ebenso wie wir in der Sexualität den Anderen erfahren. So tauchen wir mit der gelesenen Sexualität quasi voyeuristisch in eine fremde Welt ein, zu deren Handlungen wir uns dann positionieren müssen, wodurch wir wiederum zu nicht-handelnden Handelnden werden, was Veränderungen bewirken kann.

Hierzu werden in dem Band zum einen relativ klassische Autor*innen wie Gisela Elsner oder Ingeborg Bachmann besprochen, diese Werke aber unter einem neuen Fokus analysiert. Andererseits wird der Blick geöffnet für nicht unbedingt erwartete Text wie «Bück dich» von Rammstein.

Eingeteilt ist «SexLit» in vier Themenblöcke, bei dem der letzte noch eine Besonderheit aufweist, denn hier sind zwei junge literarische Texte von Koschka Linkerhand (1985) und Dierk Saathoff (1990) komplett abgedruckt. Saathoffs Text «komm schnell schöner boy», der im schwulen Milieu spielt, fällt durch seine Textgestaltung auf, die zwischen Textblöcken und Chats wechselt sowie ein lyrisches Ich, eine Person namens S und unbekannte Chatteilnehmer zu Wort kommen lässt. Inhaltlich kann man bei diesem Texten sicherlich an diversen Stellen anecken, wenn zum Beispiel eine Definition von Perversion als Sex als Selbstzweck gegeben wird. Meint der Autor das ernst? Auch das Handeln und Denken seiner Figuren ist nicht ganz einfach und schon gar nicht positiv nachzuvollziehen. S, der egomanisch auf Sex fixiert zu sein scheint. Oder ist dies nur so unangenehm zu lesen, weil es uns unserem Inneren so nahebringt?


Egal, wie man zu den Texten stehen mag, sie regen auf jeden Fall zum Denken und zum Diskutieren an. Und das ist einiges mehr, als literarische Texte ansonsten oftmals leisten.

Benedikt Wolf (Hg.) SexLit. Neue kritische Lektüren zu Sexualität und Literatur. Querverlag.

ISBN 978-3-89656-282-1. CHF 24.90.


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