Es ist an der Zeit, dass wir uns mal wieder diskriminiert fühlen. Nicht als weisse Männer, sondern als Schwuchteln. Meint zumindest Michi Rüegg.
An einer kleinen Geburtstagsfeier erzählte mir neulich ein Gast, dass er keine Meeresfrüchte esse – weil sie ihn an weibliche Geschlechtsorgane erinnern würden. Ich weiss nicht, ob er das heutzutage überhaupt noch hätte sagen dürfen. Der Aussage wohnt ja doch ein gewisses Diskriminierungspotenzial inne.
Nein, ich mag die Wuttexte alter weisser Männer selbst gar nicht mehr lesen. Wie sie von bösen Feministinnen unterdrückt werden. Neulich sah sich sogar eines der schwulen Mitglieder des Nationalrats dazu genötigt, einen Rant über die fiesen linken Frauen abzuzwitschern, ein gewisser Herr Portmann. Normalerweise kümmert der sich um das Wohlergehen von Banken. Aber wenn der blinde Zorn durchbricht und das Hirn abstürzt, lupft es ihm den imaginären Hut und er setzt sich auch einmal für die gefährdete Spezies des alten weissen Mannes ein.
Allerdings schätze ich es persönlich ausserordentlich, dass ich vor dem Hintergrund der wahrscheinlichen Abstimmung über die «Ehe für alle» nun endlich wieder einmal so richtig diskriminiert werde. Die EDU und ihre frommen Kampfbrüder wollen die Vorlage bodigen. Allerdings strahlen sie nicht sonderlich viel Zuversicht aus zu reüssieren.
Dieses Gefühl, als Minderheit ausgegrenzt zu werden, habe ich in den vergangenen Jahren etwas vermisst. 2010 schmissen die Neonazis und Provinzkatholiken an der Europride in Warschau wenigstens noch mit Steinen nach uns. Mittlerweile gehen in diesem Zürich ja nicht einmal mehr die Augenbrauen hoch, wenn man öffentlich das eigene Non-Mainstream-Sexualverhalten elaboriert. Pervers ist irgendwie langweilig geworden.
Das ist der Preis, den man für den Marsch durch die Gesellschaft bezahlt. Man ist nicht mehr speziell genug, wenn man in ihrer Mitte angelangt ist. Der queere Nachwuchs hat das gemerkt und versucht nun sehr, sich von uns Post-Abercrombie-Reiheneinfamilienhaus-Schwuppen abzugrenzen. Die machen das auch ganz gut, ich schätze nicht nur ihren Style, ich schätze den Queer-Feminismus auch als Bereicherung, solange er einigermassen Humor und Selbstironie zeigt. Tut er das nicht, ist er auch nicht nützlicher als Portmanns Frauenbashings.
Geniessen wir also die kommenden Monate vor der Abstimmung über die Ehe für alle. Erstens müssen wir derzeit mit Verweis auf die Sammelfrist die Heiratsanträge unserer Verlobten noch nicht annehmen: Nei Schatz, weisch, villicht chömmer ja gar nöd. Das verschafft uns noch Luft für voreheliche Schweinereien.
Zweitens dürfen wir uns darüber aufregen, dass sich im Jahr 2020 eine Gruppe Ewiggestriger tatsächlich erdreistet, uns, UNS, UNS! unsere sauer erkämpften und hinterrücks lobbyierten Rechte zu verweigern. Und das mit Verweis auf einen vor 2000 Jahren ans Kreuz genagelten jüdischen Wanderprediger, der gemäss halbwegs glaubwürdigen Quellen stets nur die Liebe gepredigt hat. Einfach nur lachhaft, die Übung. Aber toll, weil sie in uns einen gewissen Kampfgeist weckt.
Wenn wir das alles dann hinter uns haben, ist fürs Erste gut, zumindest hierzulande. Anderswo auf unserem reizenden Planeten gibt’s noch da und dort was zu tun. Den kommenden LGBT*-Generationen wird die Arbeit also nicht ausgehen. Die Diskriminierung wird weiterleben, wenn nicht hier, dann anderswo. Sie ist eben im Gegensatz zum alten weissen Mann keine schützenswerte Spezies.
Und damit zurück zum weissen Mann, der mir Eingangs seine Gedanken über Meeresfrüchte erläutert hat. Auch ich mache einen Bogen um Meerestiere, die seltsame Formen aufweisen. Ganz einfach, weil ich sie nicht mag. Eine Ausnahme erlaube ich mir allerdings, nämlich Austern. Das habe ich auch dem eingangs erwähnten Partygast erklärt, der sich vor weiblicher Unterwasser-Anatomie ekelt. Austern, habe ich gesagt, schmecken wie Sperma. Entsprechend sollte man sie auch als schwuler Mann verzehren. Ausser in den Monaten ohne R im Namen, wie jeder Feinschmecker lernt. Von Juni bis Ende August kann man Austern getrost diskriminieren.
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