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Zwischen Syrien und Schweden

Über Schwule in der arabischen Welt weiss man noch recht wenig, zu versteckt müssen sie oft leben. Das macht diesen Roman zu einer Perle.


Von Birgit Kawohl


«Bei dem Roman handelt es sich um eine Mischung aus Autobiographie und Fiktion», so der Verlagsmitarbeiter. Das liess mich eher skeptisch reagieren. Weder Fisch noch Fleisch, so kommen die meisten genrefluiden Werke daher, oft mühsam zu lesen und dann noch wenig unterhaltend. Aber gut, man soll allem eine Chance geben, wenn schon genderfluiden Menschen, dann sicherlich auch genrefluiden Büchern. Eine kluge Entscheidung, denn Khaled Alesmaels «Selamlik» schafft es, die Leser zu fesseln und in eine ganz eigene Welt hineinzuziehen, was natürlich zuletzt an seinem Autor und dessen persönlicher Biographie liegt.


Khaled Alesmael, geboren in Syrien, Vater Syrer, Mutter Türkin, beantragte 2014 Asyl in Schweden, wo er inzwischen eingebürgert wurde. Seinen auf Arabisch und Englisch geschriebenen Roman veröffentlichte er 2018 in Schweden und auch für die deutsche Übersetzung aus dem Original musste der Verlag zwei Übersetzende organisieren. Aber es hat sich gelohnt, denn der Roman entführt einen in die ganz eigene Welt der syrischen Schwulenszene, die in herbem Kontrast zur schwedischen «Asylboende»-Welt steht.

Wobei die ferne arabische Welt für uns Westeuropäer sicherlich die interessantere ist, da hier viele Einblicke gewährt werden, die man ansonsten so nicht bekommt. Oft fragt man sich ja, ob es in Syrien so etwas wie eine Schwulenszene gibt und wie man sich einem Land, in dem die strenge Sicht des Islam auf die Sexualität gilt, überhaupt als Schwuler erkennt und dann auch noch befriedigt.

Zugleich wird deutlich, dass die Probleme auf der ganzen Welt dieselben sind: Wem offenbart man sich als Jugendliche*r als Erstes, wenn man merkt, dass man nicht den heteronormativen Vorstellungen entsprechend fühlt? Wie geht man mit einer aufkeimenden Liebe um? Und dann die Erkenntnis des Ich-Erzählers, dass ihn die Verfolgung und Diffamierung als Schwuler im Asylantenheim in Schweden mit aller Macht einholt und die Männer, nur weil sie auch aus Syrien vor Krieg und Terror geflohen sind, nicht unweigerlich auch toleranter gegenüber Homosexuellen werden. Im Gegenteil, sie halten genauso starr und verurteilend an den ihnen mitgegebenen Wertekategorien fest wie die Kultur, aus der sie geflohen sind und die sie trotzdem tief in ihrem Inneren mit sich tragen.

Am Ende des Romans kommt es dann zu einem Bruch, der nicht unbedingt nachvollziehbar ist, als Furat – der Protagonist – im Sprachkurs für Asylbewerber zunächst in eine erotische Fantasie gerät, die dann in einem ungeheuren und brutalen (Sex-)Massaker endet. Während der Krieg in Syrien zwar Teil der Erzählung ist, aber irgendwie immer sprachlich auf Distanz gehalten wird, fliegen einem hier sowohl abgeschnittene Extremitäten wie auch extrem nahe sexuelle Schilderungen um die Ohren. Verständlich zwar, dass mit der Flucht das Grauen, die Angst und die Erlebnisse nicht vergessen sein können, an dieser Stelle tauchen sie jedoch zu unerwartet und verstörend auf. Aber vielleicht ist es auch genau das, was sich im Inneren vieler Geflüchteter abspielt, was sie dann hin und wieder vollkommen ausrasten lässt. Somit ist dies sicherlich ein Roman, der sowohl Kulturen als auch Menschen einander näherbringt und Verständnis füreinander wachsen lässt.


Khaled Alesmael: Selamlik. Albino Verlag. ISBN 978-3-86300-302-9. CHF 36.90 - beispielsweise direkt hier



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