Cruiser Kolumnist Michi Rüegg macht sich seine eigenen Gedanken über die Natur. Oder was man darunter verstehen kann.
Wie schön! Katholisch Irland ist der Meinung, dass der Bund fürs Leben keine Frage der Geschlechterkombina-tion ist. Das ist so erfreulich, wie – im Fall der grünen Inselrepublik – überraschend. Schliesslich waren die Iren lange Zeit nicht gerade als progressivstes aller Völker bekannt. Wenig überraschend hat die römische Kirche ihren Schmerz über diese aus ihrer Sicht unverständliche Ent-scheidung ausgedrückt. Schwulsein, das ist etwas Widernatürliches, predigt die Kirche unermüdlich. Ich verzichte hier auf die einzelnen Zitierungen derjenigen Würdenträger, die sich dahingehend geäussert haben. Es ist, scheint mir, an der Zeit, dass wir uns mit dem Begriff «Natur» auseinandersetzen. Ich mag die Natur sehr. Blumen. Die mag ich sehr. Und Bäume, und kleine pelzige Tiere. Auch die. Alles. Auch die hässlichen Dinge sind irgendwie schön, weil sie ja zur Natur dazu gehören.
Ich gehe oft in die Natur, sei dies für Wanderungen, Skifahrten oder Tauchgänge an korallenbewachsenen Riffen. Ich fühle mich in der Natur jeweils als Teil von ihr. Dabei blende ich aus, dass das Pistenfahrzeug bereits rauf- und runtergetuckert ist, als ich noch geschlafen habe. Dass der Wanderweg, der mich durch den Wald führt, von Maschinen gepfadet wurde. Und dass meine Laune auf 30 Metern Tiefe im Indischen Ozean vermutlich ohne Luftflasche und Lungenautomat deutlich mieser wäre. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass meine Beziehung zur Natur nicht besonders viel mit ihr zu tun hat. Das ist nicht anders als bei den Zeitgenossinnen und -genossen, die uns immer wieder inbrünstig einreden, Schwule und Lesben könnten keine Eltern sein. Weil ein Kind eben Mama und Papa brauche. Das sei schliesslich so in der Natur.
«Gäbe es keine Antibiotika, wäre ich schon dutzend Tode gestorben.»
Das klingt zwar auf den ersten Blick logisch, doch schauen wir etwas genauer auf die Fortpflanzung im Jahre 2015: Erst friert frau der Karriere wegen Eier ein, dann werden sie mit dem Sperma – das ihr Mann unter Zuhilfe-nahme eines Sexheftes ins Becherchen gerubbelt hat – künstlich befruchtet, präimplantiv diagnostiziert, eingesetzt, unter konstanter Ultraschallbetrachtung und Fruchtwasserpunktion ausgetragen, per Kaiserschnitt kommt dann termingenau das Kind zur Welt, landet zur Sicherheit noch husch im Brutkasten und wird schliesslich mit hochwertiger, industriell gefertigter Dosenmilch aufgepäppelt. Und ist der oder die Kleine erst einmal auf der Welt, verkünden die frisch gebackenen Eltern stolz, es sei so schön, wie die Natur ihnen ein Kind geschenkt habe. Auf dem Geburtskärtchen steht dann keck: «Ein Kind ist sichtbar gewordene Liebe.» Stattdessen müsste es heissen: «Ein ausgereifter Fötus ist sichtbar gewordene Fortpflanzungsmedizin.»
Bitte, seien wir ehrlich: Das Leben der Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat mit der Natur im herkömmlichen Sinne nicht mehr viel gemein. Würden wir uns tatsächlich an ihren Regeln orientieren, müssten wir uns umgewöhnen. Gäbe es keine Antibiotika, wäre ich schon dutzend Tode gestorben. Die Natur hatte offensicht-lich anderes mit mir vor, aber hey, ich hab sie geschlagen!Das Ziel einer jeden Spezies ist die Erhaltung der eigenen Art. Eine Ausnahme bildet hier vielleicht der Pandabär, den man mit Pandapornos zum Sex animieren muss. Nichts deutet darauf hin, dass die Erhaltung der Menschheit gefährdet wäre, wenn sich nicht jedes einzelne Individuum fortpflanzt. Dieser Meinung ist ganz offensichtlich auch die katholische Kirche, sonst hätte sie den Zölibat nicht eingeführt. Angenommen, eine Gesellschaft lässt Schwule und Lesben heiraten, haben wir entscheidende Hinweise dafür, dass dies nicht das Ende der gesamten Menschheit bedeutet.
«Nichts deutet darauf hin, dass die Erhaltung der Menschheit gefährdet wäre, wenn sich nicht jedes einzelne Individuum fortpflanzt.»
Und sollten die Verteufler von Homosexualität tatsächlich um den Fortbestand unserer Spezies fürchten, reicht es doch, wenn man auch schwulen und lesbischen Paaren erlaubt, Kinder grosszuziehen. Die Natur hat auch keine Religionen vorgesehen. Ich kenne kein Tier, das Kirchen baut und beten geht. Bloss die zölibatären Pandas bringen mich etwas ins Grübeln.
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