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Kolumne: Thommen über "die Szene"


Die Hintersicht

Es ist schon lange her, seit ein Schwuler einen anderen umgebracht hat. Irgendwann im letzten Jahrhundert. Doch die Schwulen machen es eben anders. Sie nutzen unter sich den «sozialen Tod» auf Raten. Sie kennen die «Nadelstiche» und die «Hinterfotzigkeit».

Es geht zu wie auf dem Dorfe. Jeder kennt aber nicht jeden wirklich. Nur die Gerüchte, falschen Zitate oder das eifersüchtige Intrigieren, das wir Basler in der Fasnacht (auch eine Art Subfamilie) kultiviert haben.

Wir kommen – meist – aus einer heterosexuellen Familie und leben überwiegend in einer heteronormativen Gesellschaft. Damit möchte ich den meistens gestellten Vorwurf an sich selbst entkräften. Wir tragen Angelerntes unter uns herein. Der Anspruch der «Homosexuellen Arbeitsgruppen» bestand darin, den verhängnisvollen Kreis zu durchbrechen und sich zusätzliche Erkenntnisse zu erarbeiten. Wir tragen heterosexuelle Hierarchien herein, indem wir «gute» und «schlechte» Homosexuelle erkennen und benennen. Zuoberst sitzt der heterosexuellste Schwule, der Macho und zuunterst die weiblichste Tunte. (1) Schwule müssen immer eine Erscheinung kennen, die noch schlimmer ist als sie selbst sind. Ein schönes Beispiel ist die Prostitution: Bei den Heteros ist der Freier über der Nutte. Aufgrund der sozialen Stigmatisierung des Homosexuellen ist der (meist heterosexuelle) Stricher aber über dem Freier. (Das hat sich dann im Bereich des Drogenstrichs wieder geändert.)

Schwule tragen ihre Beschädigungen in der Gesellschaft draussen ohne Bedenken in die Gayclubs und Lokale herein. Wenn sie da auftauchen, können sie freimütig über alles reklamieren, was ihnen gerade nicht passt. Es fällt ihnen auf, dass sie nicht herzlich willkommen geheissen werden, dass es mal keine Nippsachen wie Salzstängeli, Erdnüsse oder Chips auf den Tischen hat und dieses und jenes ist nicht recht und vieles mangelhaft. Wenn sie denn schon mal dahin kommen...

Dabei verkennen sie völlig ihre eigene Situation. Sie sind gerade enttäuscht worden, oder haben sich emotional ausbeuten lassen und möchten im Grunde genommen mit Samthandschuhen angefasst (also geliebt) werden. Und dann wartet eben keine Ehefrau zuhause auf sie. Ich bin überzeugt, dass sie in einem «normalen» Lokal niemals so reagieren würden, auch wenn sie bereits mehrere Stangen in sich hinein geleert hätten. Die sollen nämlich bei den Heteros den Frust des Tages hinunterspülen.

Schwule sind eine ganz spezielle Kundschaft, das weiss ich aus jahrzehntelanger Erfahrung. Das vielgeschmähte Milieu muss die Therapie ihrer Schädigungen übernehmen. Leider fallen die Aggressionen meistens auf die eigenen Leute zurück, in der Annahme, damit kaputt zu machen, was sie kaputt macht. Sie würden es nicht wagen, gegen die Normalität von Familie und Gesellschaft zu rebellieren. Stellvertreter für ihre Peiniger werden unter den eigenen Leuten ausgemacht. Letztlich bedienen sich Schwule auch nur der heterosexuellen Politik und Methoden, die sie vorgeführt bekommen haben.

1 siehe auch „schwules Gassenblatt Nr. 17, die Geschichte von „Sister Macho“ von René Reinhard (auf www. arcados.com


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