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Buchkritik: Simone Meier "Fleisch"


Simone Meier: «Fleisch» oder fleischlos?

Simone Meier thematisiert in ihrem Roman die grossen Themen der Zeit: Liebe, Arbeit, Lebenssinn und pendelt dabei zwischen Stadt und Land. Die Story pendelt ebenfalls.

Von Birgit Kawohl

Als eifriger Leser kennt der Zürcher Simone Meier mit ihren Artikeln – früher beim Tages-Anzeiger, aktuell auf Watson. Nach «Mein Lieb, mein Lieb, mein Leben» aus dem Jahr 2000 hat sie nun «Fleisch» bei Kein & Aber veröffentlicht.

Der Inhalt ist schnell wiedergegeben: Ein «Begleitpaar», Anna und Max, beide Mitte vierzig, trennen sich, da sie beide vom Leben etwas mehr erwarten als den anderen. Die Unzufriedenheit bezieht sich dabei vor allem auf unerfüllte sexuelle Fantasien, Träume, bisher nicht vollzogene Wagnisse. Bei Anna ist dies die Liebe zu einer Frau, die fast zwanzig Jahre jüngere Lilly, die sie in einem Bistroladen kennenlernt. Bei Max der Hang und Wille sich käuflichem Sex hinzugeben, was ihm im Bordell nicht gelingt, funktioniert schliesslich bei der eigentlich lesbischen, aber finanziell klammen Sue. Frauen sind für Geld eben zu allem bereit.

Und nun, der Leser hat es kaum zu denken gewagt, kommt die für die Autorin scheinbar logischste Konsequenz: Sue und Lilly leben in einer gemeinsamen WG! Was ja in einer Stadt wie Zürich nahezu unumgänglich ist. Man fühlt sich ein wenig an die Screwball-Komödien der 50er- und 60er-Jahre erinnert. Dies ist nur einer von zahlreicheren Zufällen, die zum einen unnötig, zum anderen aber auch unglaubwürdig sind. Ebenso unglaubwürdig wie der Umstand, dass Anna plötzlich in der Mitte des Romans den Namen ihrer seit ca. 100 Seiten Angebeteten vergessen hat.

Apropos Zürich: Meier spricht immer nur von «grosser Stadt», schnell fragt sich der Leser, da Zürich an allen Ecken zu erkennen ist, was damit bezweckt wird. Soll hier eine scheinbare Anonymität geschaffen werden, die den – armen, armen – Grossstadtmenschen ja ewig umgibt? Dieses spätestens seit dem Expressionismus immer wieder benutzte Motiv wirkt allerdings aufgesetzt, da sich andererseits durch die sich durch den ganzen Roman ziehenden «Zufälle» eben alle in Zürich und der benachbarten Kleinstadt lebenden Personen zu kennen scheinen. Hier wäre der Mut zur Entscheidung wünschenswert gewesen.

In Bezug auf andere Themen lässt sich einiges an Klischeehaftigkeit feststellen: Die Mittvierzigerin hadert natürlich mit ihrem Körper (der Roman beginnt mit einer seitenlangen Lamentiererei Annas über selbigen, bei dem sich sicherlich in einigen Lesern spontan der Drang zum Beiseitelegen des Buches breitmacht), Anna hat selbstverständlich einen schwulen Freund, Cédric, der mit ihr Rosamunde Pilcher-Filme schaut, während sich der Hetero Max nur für Spionagefilme begeistern liess. Da hätte man doch eine etwas intelligentere und differenzierte Sicht erwartet.

Die Figuren selbst sind wenig plastisch, auch sie bleiben weitgehend im Anonymen, so wie die immer wieder unerwartet auftauchende «Frau Blume», eigentlich Annas Sekretärin, aber dann doch eine Person, die mehr Fäden in den Händen zu halten scheint. In Bezug auf die Fäden hat sich die Autorin für eine Mehrsträngigkeit entschieden, dies ist ja momentan ziemlich en vogue, warum auch immer, vor allem, wenn die einzelnen Stränge sich selbst nicht zu tragen im Stande sind.

Insgesamt unterhält der Roman seinen Leser mässig, lässt ihn aber mit vielen Ungereimtheiten alleine – wieso um Himmels Willen knallt Max letztendlich so durch und warum werden immer wieder zwanghaft Fleischwaren erwähnt, hätte sich der Titel des Buches nicht subtiler rechtfertigen lassen? – und schafft es kaum, einen Wunsch zur Diskussion über eben die oben genannten grossen Themen zu erzeugen.

Simone Meier: Fleisch. Verlag Kein & Aber. ISBN 9783036957548. 27,90 SFr.


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