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Zwanzig Jahre und (k)ein Ende?

Wenn ein Paar zwanzig Jahre zusammen ist, hält die Beziehung sicherlich für ewig, denken alle. Doch hier fällt die Entscheidung an einem Wochenende.


Von Birgit Kawohl


Die Titel der Shortlist von Buchpreisen, sei es in der Schweiz oder in Deutschland, werden ja immer besonders kritisch beäugt und immer wieder fragt sich die Kritiker- und Leserzunft: Wie um Himmels Willen ist ausgerechnet dieser Titel auf die Liste gelangt? So ging es auch mit dem Roman der jungen Autorin Miku Sophie Kühmel, die bisher im deutschsprachigen Raum mit ihrer Kurzprosa eher einem kleinen Publikumskreis bekannt war. Wenn man sich dann aber von diesen Vorschusslorbeeren nicht abschrecken lässt und das Werk liest, denkt man sich:


«Oh ja, das ist eine Entdeckung.»


Dies liegt zum einen an der sehr gekonnten Bauweise, die immer wieder zwischen Kammerspiel und inneren Monologen hin- und herwechselt. Genauer: Wir begleiten Max und Reik, die trotz oder gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit seit zwanzig Jahren ein Paar sind, mit ihrem besten Freund Tonio und dessen mittlerweile ca. zwanzigjährigen Tochter, für die sich jeder der drei auf seine Weise verantwortlich fühlt, in ein abgelegenes Ferienhaus. In den Kammerspielszenen treffen sich die vier vier Mal zu Mahlzeiten im Haus. Dort sprechen, streiten und diskutieren sie beim Essen miteinander. Dazwischen sind aber jeweils Binnenschauen eines der Protagonisten geschoben. Man erfährt also vieles aus verschiedenen Perspektiven.



Dabei fühlt man sich etwas an die US-Serie «The Affair» erinnert, die ja gerade mit solchen Perspektivwechseln spielt.

Aber anders als bei «The Affair» werden bei Kühmel keine wahnsinnig dramatischen Geheimnisse gelüftet. Es sind die kleinen Dinge, die ein Leben eine Wendung nehmen lassen und letztendlich über Liebe oder Trennung entscheiden.


Mit dem Perspektivwechsel geht aber - und das ist zum einen vielleicht ein Manko, führt andererseits aber zu einer flüssigen Lesbarkeit – kein Wechsel des Sprachduktus einher. Offenbar haben sich diese enge Freunde auch sprachtechnisch grösstmöglich angenähert.

Mit der Zeit werden viele Probleme deutlich, Reiks Tablettenabhängigkeit, Tonios neue Liebe, Max‘ Unzufriedenheit, sodass das Ende für den Leser nicht ganz so überraschend kommt wie für die Personen im Ferienhaus. Dabei ist das Ende nicht das Entscheidende, da man auf eine Liebe mitgenommen wird, die Höhen und Tiefen kennzeichnet und Max doch diesen wunderschönen Satz formulieren lassen: «Je mehr ich über uns nachdenke, desto stärker wird der Eindruck, dass wir uns wie zwei Wolken getroffen haben, von Strömungen geleitet.»

Der Titel und die Kapitelüberschriften hingegen wirken etwas aufgesetzt intellektuell. Welcher Leser kann sofort etwas mit dem Begriff Kintsugi anfangen (übrigens grob gesagt eine japanische Art der Porzellanreparatur). Dies erschwert sicherlich den spontanen Griff zu diesem Roman. Anyway. Miku Sophie Kühmel liefert hier ein erstaunlich reifes und doch interessant geschriebenes Werk ab, das durchaus den Deutschen Buchpreis verdient gehabt hätte.


Miku Sophie Kühmel: Kintsugi. Verlag S. Fischer. ISBN: 978-3-10-397459-1. CHF 31.90.

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